Ende Juli rief mich Arno Klöser an: „Sag‘ mal, hast du nicht Lust, mit uns sieben Tage auf den Spuren von Grimms Märchen zu reiten? Es geht durch herrliche Landschaft, die Tagesetappen betragen 25-32 km, wir haben ein Trossfahrzeug mit Fahrer – Du brauchst nur Tagesgepäck…“ Tja, das klang ja nun verlockend, allerdings war Heroi, mein 14jähriger töltender Traber, nach gesundheitlichen Problemen keinesfalls schon wieder fit für eine solche Unternehmung, aber: wir haben ja auch Giacomo – mittlerweile 21 Jahre alt und bis auf eine nun länger dauernde Aufwärmphase, die einer leichten Arthrose geschuldet ist, fit wie eh und je. Allerdings: bei uns gibt es nichts was höher ist als ein Deich, und auf dem darf man nicht reiten. Und nun in Nordhessen ein Wanderritt, wo es doch schon reichlich bergig ist… Nach kurzem Abwägen beschloss ich, mit zu reiten, frei nach dem Motto „wenn ich es nicht probiere, werde ich nicht wissen, ob wir das können“.
Gesagt, getan: an einem Freitag im August fuhren wir von Bremerhaven los nach Vöhl nördlich vom Edersee. Als ich mit dem Gespann das Weserbergland erreicht hatte, wurde ich doch etwas nachdenklich, und in den Kasseler Bergen dachte ich: „Oh je, der arme Giacomo – solche Berge soll er rauf und runter!“ Es half aber nichts – versuchen wollte ich es wenigstens.
Samstag früh ging es los bei bestem Reitwetter: nach einem gemeinsamen Frühstück und dem Beladen des Trossanhängers (obwohl jeder nur eine Tasche für sich und eine für sein Pferd (Regendecke, Fliegenzeug, Putzzeug,…) hatte, kam eine Menge „Zeug“ zusammen!), machten wir uns zu sechst auf den Weg. Zunächst ging es nach Westen durch das Ederbergland, das Orketal und in die Ausläufer des Sauerlands. Die Pferde waren alle frisch und munter, und so kamen wir gut voran durch landschaftlich herrliche Gegend – ich konnte mich gar nicht satt sehen!
Unsere gute Tat für heute war, ein Schaf zu retten, das unter ein Tor geraten war und sich nicht selbst befreien konnte. In Neukirchen waren wir in einer netten Pension untergebracht, unser Trossfahrer hatte die Paddocks schon aufgebaut, so dass die Pferde schnell versorgt waren und wir uns einem leckeren Abendessen widmen konnten. Am nächsten Tag ging es weiter entlang der hessisch-westfälischen Grenze Richtung Hallenberg ins Rothaargebirge. Wieder Natur pur und Landschaft satt – die zweite Pause an diesem Tag machten wir an der Oberlinspher Mühle, wo wir von den Eigentümern mit Kaffee und Keksen verwöhnt wurden und die Pferde auf einer saftigen Wiese ausgiebig grasen durften. Ziel war heute das Dachsloch – ein idyllischer Ort in der Mitte vom Nirgendwo.
Hier sorgte eines der Pferde für Aufregung: in seiner Gier auf seinen Hafer zog es sich eine Schlundverstopfung zu… Mit vereinten Kräften, Massagen und Speiseöl wurde die Zeit bis zum Eintreffen des Tierarztes überbrückt – Glück gehabt
Am dritten Tag verließen wir das Rothaargebirge Richtung Südwesten, ritten eine ganze Weile an der Eder entlang und an einer Furt sogar in die Eder hinein, an Battenberg vorbei nach Münchhausen/Wollmar.
Den Baron haben wir zwar nicht gesehen, dafür aber – wie sollte es anders sein – wieder jede Menge schöne Landschaft!
Am nächsten Tag war Regen angesagt. Entsprechend bekleidet zogen wir los zu der einst gut ausgebauten und befestigten keltischen Siedlung Christenberg. Der steile Anstieg mit einigen Serpentinen ließ „Alpenfeeling“ aufkommen – Pferde und Reiter erklommen zielstrebig und konzentriert den Berg. Oben machten wir Pause; aufgrund des Regens war die Fernsicht jedoch etwas getrübt. Weiter ging es durch den Burgwald, am Naturschutzgebiet „Französische Wiesen“ vorbei nach Halsdorf.
Tags darauf kam wieder die Sonne heraus, so dass wir uns gut gelaunt und mit munteren Pferden Richtung Nordosten in die südlichen Höhen des Kellerwaldes aufmachten, auf den Spuren der Gebrüder Grimm zu reiten: Ziel war „Bergfreiheit“, das Schatzkästlein im Kellerwald mit Kupfererzbergwerk, Edelsteinschleiferei und Bergamtsmuseum, auch bekannt als Heimat von Schneewittchen und den sieben Zwergen. Wir sind sicher, dass die Zwerge hinter uns waren – wir konnten sie nur nicht sehen, weil wir uns nicht schnell genug umdrehen konnten!
Vom romantischen Bergfreiheit ging es weiter durch den Kellerwald vorbei an Bad Wildungen ins Edertal. Auf dieser Etappe mussten wir eine Zwangspause einlegen, weil Pferde auf einer am Weg liegenden Weide beschlossen, mit uns kommen zu wollen. Ein einfacher runder „Kuhdraht“ auf Höhe des Buggelenkes von einem Pony ist nicht wirklich eine sichere Pferdeeinzäunung… Bei steigenden Temperaturen kamen wir schließlich an der Eder an, der wir gut 8 km folgten. Zwischendurch konnten wir mit den Pferden ins Wasser, was sie in Anbetracht der Wärme auch genossen.
Ziel war Böhne, das wir nach einer herrlichen langen Trabstrecke auf einem Weg, der sich leicht bergan schlängelte, zufrieden und müde erreichten. Abends machte sich etwas Wehmut breit – so schnell waren die Tage vergangen. Schnell stoppten wir das, denn eine Tagesetappe hatten wir ja noch. Und die wollten wir geniessen! So sattelten wir am darauffolgenden Morgen ein letztes Mal die Pferde, um an der Burg Waldeck und Niederwerbe vorbei zu unserem Ausgangspunkt zurück zu kehren.
Auch wenn wir in den letzten Tagen schon häufig an Obstbäumen voller Früchte vorbeigekommen waren – auf dieser Etappe fielen sie besonders auf: ein Baum voller und schöner als der nächste und nie zwei gleich aussehende nebeneinander. Auch dies ein wunderschöner Anblick! Nach einem herrlichen Galopp leicht bergan stiegen wir in Sichtweite von Vöhl etwas oberhalb ab, führten unsere Pferde, die alle toll mitgemacht haben und ebenso wie wir Menschen hier und da über sich selbst hinausgewachsen waren, das letzte Stück zum Quartier – ein wundervoller Wanderritt war zu Ende.
Tiefe Dankbarkeit empfinde ich gegenüber Giacomo, der mich willig und eifrig die Berge hinaufgetragen und immer getan hat, worum ich ihn gebeten habe.
Und ein ganz großes Dankeschön an Arno und meine Mitreiterinnen für die herrlichen und abwechslungsreichen Tage sowie an unseren Trossfahrer Wolfgang, der durch seine unermüdliche Unterstützung und Hilfsbereitschaft auch maßgeblichen Anteil am Gelingen dieses Rittes hatte.
Für diejenigen, die es interessiert: Auf diesen Strecken geht es definitiv nicht ohne Hufschutz. Die Wege sind überwiegend geschottert oder richtig befestigt, wobei es hin und wieder auch Graswege gibt. Und wie überall gibt es auch in dieser Region Wege, die entweder nur auf der Karte oder nur in der Natur existieren. Kenntnisse zur Orientierung im Gelände sowie Kartenkunde sind demnach unerlässlich. Kondition sollten Pferd und Reiter ebenfalls haben, da aufgrund des Geländes immer wieder auch längere Etappen zu Fuß gegangen werden sollten.
Antje Wewetzer