Wie ist es bestellt um das bereit- und befahrbare Wegenetz hier im Norden?
Hierzu trifft die Machbarkeitsstudie „Reittourismus in der Aktivregion Schlei – Ostsee. Phase 1: Prüfung des reittouristischen Potenzials“ vom Büro für Landschaftsentwicklung Kiel, Dr. Deike Timmermann, vom Mai 2010 eine klare Aussage:
„Die Entwicklung einer Wanderreitregion mit einem flächendeckenden hochwertigen Reit- und Fahrwegenetz ist aufgrund der schlechten Voraussetzungen bei der vorhandenen Wegeinfrastruktur und den bereits erkennbaren Vorbehalten bei den Grundeigentümern nicht umsetzbar und sollte daher nicht als Entwicklungsziel verfolgt werden.“
Dieser Darstellung schließen wir uns – nicht nur für die Region der Schlei – an, wobei wir aber den letzten Teil der Aussage („und sollte daher nicht als Entwicklungsziel verfolgt werden“) mit einem Fragezeichen versehen und uns diese Ansicht später noch genauer anschauen wollen.
Dr. Timmermann kommt in der Machbarkeitsstudie zu dem Schluss, dass es sinnvoll sei Reit- und Fahrwege in Schwerpunktgebieten auszuweisen. Diese Schwerpunktgebiete könnten im günstigen Falle später einmal zusammenwachsen.
Tatsächlich sehen wir, dass kostenpflichtige Reitregionen entstehen. Die Nutzungsmöglichkeit von bereit- und befahrbaren Wegen wird erkauft. Uns stellt sich dabei die Frage, ob eine derartige Mautgebühr (Vignetten auf vorgeschriebenen Kopfnummern) nicht so etwas wie eine verdeckte Pferdesteuer ist. Was sagen Fachleute dazu?
Lösung kostenpflichtige Reitregionen?
Hier gibt die Stellungnahme des Landessportverbandes (LSV) zur Änderung des Landeswaldgesetzes (Änderung: 2011) Auskunft, in der wir nachlesen:
„Eine Abgabe für die Anlage und Unterhaltung von Reitwegen ist unter den Mitgliedern des PSH umstritten. Es wird eingewendet, dass von anderen Nutzungsberechtigten, wie z.B. Radfahrern und Fußgängern keine Abgaben für die Anlage und Unterhaltung von Wegen erhoben wird. Die Investition für die Anlage von Fuß-, Wander- und Radwegen übersteigen in SH die Ausgaben für die Anlage und Unterhaltung von Reit- und Fahrwegen um ein Vielfaches. Nach der Auffassung der Mitglieder des PSH gibt es keinen nachvollziehbaren Grund für eine Ungleichbehandlung. Das gilt insbesondere, weil der Pferdesport als Wirtschaftsfaktor mindestens eine ebenso hohe Bedeutung hat, wie das Wandern und der Radsport und bei einer verantwortungsvollen Ausübung des Pferdesportes ebenso wenig nennenswerte Schäden entstehen, wie durch den Radsport oder das Wandern.“
Ist eine derartige Ungleichbehandlung von Erholung suchenden Bürgern vereinbar mit den im Grundgesetz zugesicherten Bürgerrechten?
Schwere Schäden an Wegen durch Pferdehufe?
Oft wird behauptet, dass Reiter auf der Bankette zu Schäden an den Wegen führen. Die Reiter würden viel zu dicht an der befestigten Wegschicht reiten. Doch oftmals haben Reiter gar keine andere Wahl, weil Landwirte bis fast an die Asphaltdecke heran pflügen. Reiter würde sehr gerne Abstand zu Radfahrern und Autos halten, allein, man lässt sie nicht.
Ein anderes häufig vorgebrachtes Argument sind angeblich schwere Schäden an Waldwegen durch Pferdehufe. Hier gibt es jedoch wissenschaftliche Fachliteratur, die auf Messwerten basiert, und die eigentlich jede weitere Diskussion überflüssig macht. So lesen wir in unserem VFD-Handbuch „Pferd & Umwelt“: „Die industrialisierte Landwirtschaft mit immer schwereren Schleppen und größeren Geräten führt zu großflächiger Verdichtung des Bodens. Eine Untersuchung aus dem Kanton Bern zeigte, dass der Anteil der Grobporen im Wurzelraum um 25% gesunken ist (Bodenschutzfachstelle). Experten schätzen, dass weltweit 80 Mio. Hektar landwirtschaftlicher Fläche (Europa 30 Mio. Hektar) irreversibel durch Unterbodenverdichtung geschädigt sind (Horn et al. 2000). Dadurch sinkt die Wasseraufnahmefähigkeit, was zu vermehrtem oberflächlichem Abfluss von Niederschlägen mit der Gefahr von Hochwassern führt.“ Von diesen Schäden besonders betroffen sind weiche, fruchtbare Böden. Wo schwere Maschinen auf diesen Böden zum Einsatz kommen, sind oberflächliche Schäden durch Pferdehufe wahrlich marginal. Diese Tatsache wird auch durch eine Doktorarbeit (Dissertation) gestützt, die 2004 an der Universität Kiel abgeschlossen wurde. Die vergleichenden bodenphysikalischen Messungen der Auswirkungen verschiedener Erntemethoden auf den Boden wurden für diese wissenschaftliche Arbeit von Jörg Vossbrink im Forstrevier St. Märgen/ Hochschwarzwald durchgeführt. Seine Messungen fasst er so zusammen, „dass eine bodenverträgliche Befahrung mit den in der forstlichen Praxis üblichen Fahrzeugen nicht möglich ist.“ Dagegen riefen die Rückepferde beim Vorrücken von 5m-Abschnitten bis Brusthöhendurchmessen von 50 cm zu den Rückegassen keine irreversiblen Schäden am Boden hervor. Die Hufe der schweren Rückepferde verursachten im Zug weder lineare noch flächenhafte Zonen mit verdichteten und gestörten Böden. Jörg Vossbrink kommt zu dem Schluss: „Somit sind die ökologischen Folgen der Kurzholzrückung mit Rückepferden als minimal anzusehen.“ Da Reitpferde deutlich weniger Gewicht haben als Rückepferde und zudem keine schwere Last ziehen müssen ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein Reitpferd erheblich andere Kräfte am Huf auf Waldböden ausübt.
Bei der hier zitierten wissenschaftlichen Literatur handelt es sich um folgende Veröffentlichungen:
Horn R.; Akker van Den J.J.H.; Arvidsson J. (2000): Subsoil compaction: distribution, process and consequences. - Resikirchen: Advances in GeoEcology, 32 S.
Vossbrink J. (2004): Bodenspannungen und Deformationen in Waldböden durch Ernteverfahren. Dissertation am Institut für Pflanzenernährung und Bodenkunde der Universität Kiel. (Lehrstuhl Prof. Horn)
Entwicklungsziel: flächendeckendes Wanderreitwegenetz!
Doch zurück zu der Schlussfolgerung, zu der Dr. Timmermann in ihrer Machbarkeitsstudie kam (s.o.: „und sollte daher nicht als Entwicklungsziel verfolgt werden“). Ist es wirklich sinnvoll die Gegebenheiten in der Form zu akzeptieren, dass man kostenpflichtige Reitregionen gründet und das Ziel, ein landesweites Wanderreitnetz aufzubauen, aufgibt? Die VFD fordert in ihrer Rekener Charta doch genau das: „Reiten – Fahren – Grenzenlos“ in ganz Europa!
Eine Stellungnahme, die das MLUR durch Hermann-Josef Thoben zur Open Petition L 143-17/1042 (Stutterheim, Aumühle) über Gesetz- und Verordnungsgebung Land - Reit- und Fahrwegenetz (31.01.2011) abgegeben hat, sagt u.a. aus:
„Als Rechtsgrundlage für die in der Petition genannten Forderungen sind auf Landesebene zum einen das Landesnaturschutzgesetz und zum anderen das Landeswaldgesetz einschlägig. Insoweit ist hinsichtlich der Nutzungs- und Betretungsrechte das Parlament als Gesetzgeber gefordert. Die in der Petition genannten rechtlichen Rahmenbedingungen das Landesnaturschutz- und des Landeswaldgesetzes sind im Wesentlichen richtig dargestellt und wurden insbesondere nicht durch das Artikelgesetz vom 15.12.2010 verändert. (…) Im Ergebnis kann also hinsichtlich der Petition festgestellt werden, dass die grundsätzliche Forderung hinsichtlich des Nutzungs- und Betretungsrechtes nur durch eine Änderung des Landesnaturschutz- und des Landeswaldgesetzes gelöst werden können und andererseits materiell die Nutzungsmöglichkeiten innerhalb des derzeit geltenden rechtlichen Rahmen z.B. über Initiativen im Rahmen der AktivRegion verbessert werden können.“
Das bedeutet für uns: Statt uns fragwürdigen Ansichten zu Bürgerrechten und Landbesitz anzupassen und diese Ansichten durch die Gewohnheit von Mautgebühren zu festigen, sollten wir auf eine Änderung der Gesetze hinwirken, wie andere Bundesländer es uns erfolgreich vorgemacht haben.
Weiter bestehende Probleme
Reitregionen, egal ob kostenpflichtig oder nicht, bieten keine Möglichkeiten zum „über Land reiten“. Wer als Wanderreiter zwischen Dänemark und Hamburg/Niedersachsen unterwegs ist, kommt kaum auf pferde- und huffreundlichen Wegen vorwärts. Zwischen den Reitregionen liegen weite Bereiche, in denen Reiten und Fahren nicht besonders erholsam ist. Zudem berechtigt die gekaufte Vignette für Reitregion X keineswegs zum Durchreiten der Reitregion Y.
Das neue Waldgesetz sieht vor, dass betroffene Pferdehalter den Bedarf für Wege nachweisen müssen. Hier wird es in Gegenden schwierig, in denen viel Privatbesitz vorhanden ist und gleichzeitig eine geringe Besiedlungsdichte vorliegt. Hat ein einzelner von Privatbesitz „umzingelter“ Hof einfach nur Pech gehabt, oder wiegen seine Rechte weniger, als die von Höfen in anderer landschaftlicher Lage?
Andere Bundesländer gehen voran
Tatsächlich gibt es positive Beispiele aus anderen Bundesländern, wie das umweltschonende „Transportmittel Pferd“ als sanfter Tourismus harmonisch in die Bevölkerung, in den Naturschutz und den Fortbetrieb eingegliedert werden können. So gibt es im Saarland reitende Naturwarte. In Brandenburg führen berittene Forstleute Naturritte. Und der Hohe Fläming wurde ausgezeichnet für eine vorbildliche Naturparklandschaft, bei der die Gestaltung u.a. durch die VFD (das Gelände erritten, Festlegung von huffreundlichen Reitwegen gemeinsam mit Forstleuten und Naturschützern) umgesetzt wurde inklusive der Beschilderung. Diese Beschilderung dient nicht etwa dazu auf Wege zu verweisen, sondern tatsächlich um den Reitern die Richtung durch das riesige Gelände zu weisen.
Reisewege für eine der ältesten Kulturleistungen des Menschen
Wir Freizeitreiter und –fahrer möchten als Bürger genau so ernst genommen und berücksichtigt werden, wie andere Natursportler und Erholungssuchende. Das Reisen mit Pferden ist nicht nur sanfter Tourismus. Auch die ansässigen Pferdehalter sind als „Touristen im eigenen Kreis“ unterwegs und sichern durch die Tierhaltung Arbeitsplätze. Über 1 Million Pferde in Deutschland erwirtschaften jährlich einen Umsatz von 5 bis 7 Mrd. Euro.
Die Fortbewegung mit Hilfe von Pferden ist eine der ältesten kulturellen Errungenschaften der Menschheit. Ob als bepacktes Saumtier, als Reitpferd, oder nach Erfindung des Rades als Fahrpferd: ohne das Pferd als Partner des Menschen wären wir heute nicht da, wo wir sind. Wer Pferdehaltung als Luxus betrachtet, hat die Funktion dieser Tiere in unserer modernen Gesellschaft nicht begriffen. Pferde helfen in einer technischen, rasanten Welt durch natürliche Entschleunigung zu sich selbst und zu wesentlichen Werten zurückzufinden. Für das Pferd ist auch der Geschäftsführer oder Manager nur ein einfacher Mensch – und darf es sein! Ein Land ohne Reisewege für Pferde wäre in vielfacher Hinsicht arm, nicht nur in kultureller Hinsicht.
Dr. Renate Vanselow
1. Vors. VFD LV HH/SH