- Ein persönlicher Bericht von Horst Brindel.
In ihrer Vollendung gilt sie als die Königsdisziplin bei der Ausbildung von Pferd und Mensch – Die Arbeit am Langen Zügel.
Bei dieser Arbeit kommen sich Pferd und Mensch geistig und körperlich so nahe, wie sonst kaum mehr. Sie werden ebenbürtige Partner und verschmelzen beinahe zu einer Einheit. Dieses Ergebnis ist der Höhepunkt einer langen Ausbildung – und wie immer bei Pferden: ein Weg in vielen kleinen Stufen.
Was kann nun jemanden bewegen sich, ohne das Streben nach höchster Vollendung, mit der Arbeit am Langen Zügel zu beschäftigen? In meinem Fall ist es die völlige Erblindung von Lester, einem meiner beiden Connemara-Ponys, durch eine Autoimmunerkrankung. Lester wurde zehn Jahre lang solide und sehr sorgfältig ausgebildet und hat sich trotz des vor sechs Jahren erfolgten Schicksalsschlages eine sehr deutlich sichtbare Lebensfreude erhalten. Im Alltag kommt er in seiner gewohnten Umgebung mit viel Selbständigkeit hervorragend zurecht. Doch Lester will körperlich und auch geistig weiter gefordert und gefördert werden.
Als ehemaliges Fahrpony kennt Lester die Arbeit an der Doppellonge und wird zusätzlich regelmäßig vom Boden aus gefahren. Lange Spaziergänge, viel Zuspruch und ein liebevoller, geduldiger Umgang – mit einem Bedarf an vermehrtem Körperkontakt – erhalten das tiefe Vertrauensverhältnis. Es ist eine Verbindung der sehr besonderen Art.
So bin ich also immer auf der Suche nach sinnvollen Beschäftigungen für und mit Lester und aus diesem Grunde wurde das Thema Langzügel interessant. Die Beschäftigung mit dem Langen Zügel eröffnet uns die großartige Möglichkeit, rekonvaleszente Pferde – und ganz besonders auch diese – bis ins hohe Alter sinnvoll zu arbeiten, auch wenn sie nicht mehr geritten werden.
Diese Arbeit könnte doch auch in Frage kommen, um mir mit meinem blinden Pferdepartner eine etwas anspruchsvollere Arbeit zu ermöglichen? Meine Suche nach Ausbildern in der Umgebung brachte nicht den gewünschten Erfolg. Doch dann kam uns der Zufall zu Hilfe:
Über meine Verbandsarbeit für das Fahren bei der VFD ergab sich der Kontakt zu einer Fahrerin in Brandenburg. Wie sich herausstellte, ist Christine Kalmeier zwar auch ambitionierte Fahrerin eines Friesen- Einspänners, vor allem aber ist sie von der Langzügelarbeit fasziniert und so Initiatorin des jährlichen Workshops „Langer Zügel“.
So erhielt ich von ihr zu meiner großen Freude für das Frühjahr 2015 eine Einladung nach Brandenburg zum zehnten Workshop dieser Arbeitsgruppe auf Lück's Reiterhof in Repente im Kreis Rheinsberg.
Bei dieser Gruppierung handelt es sich um etwa zwei Dutzend Begeisterte. Ganz verschiedene Pferde und Ponys sind vertreten. Von beeindruckenden Friesen reicht das hochveranlagte Rassespektrum über Shagya-Araber, PRE und Lusitanos bis hin zu Deutschen Reitponys, mehreren hochtalentierten Pony-Mix' und einem sehr kecken, cremellofarbenen spanischen Ponyhengst.
Obwohl die Ausbildung der teilnehmenden Pferde nach unterschiedlichen Trainingsmethoden erfolgt, ist das gute Niveau augenfällig. Alle Teilnehmer verfolgen als gemeinsames Ziel das Streben nach höchstmöglicher Harmonie mit ihren Pferden am Langen Zügel. Die Konzentration ist sehr hoch und die Hingabe spürbar: Pferdeleute durch und durch in einer höchst erfreulichen, äußerst feinen Kommunikation mit ihren Pferden!
Die Grundlage für die Arbeit am Langen Zügel ist das vollkommene, tiefe Vertrauen zwischen Mensch und Pferd. Hilfreich ist, wenn sich Beide schon längere Zeit gut kennen.
Nie darf das Pferd nach seinem Ausbilder ausschlagen, befinden sich dessen Hände doch unmittelbar auf der Kruppe des Pferdes und er als Führender leicht seitlich daneben.
Alle Lektionen, die das Pferd unter dem Reiter beherrscht, können mit dem Langen Zügel abgerufen und auch neue erarbeitet werden. Dabei dient der Langzügel der Verfeinerung und Perfektionierung der einzelnen Übungen.
Die eigene Kondition wird allerdings groß geschrieben. Der Führende muss das Pferd in allen Gangarten und Lektionen begleiten. Insofern handelt es sich bei der Langzügelarbeit um keine Ausbildungsmethode, sondern um eine hochinteressante Alternative zum feinen Reiten in unterschiedlichen Ausbildungsstufen vom Boden aus. Der Krönung der Ausbildung also.
In meinem Falle konnte ich aus dem Workshop wichtige theoretische und praktische Erkenntnisse und Anregungen mitnehmen. In einer Pause wurde mir die Gelegenheit gegeben, mit zwei bereits hoch ausgebildeten Pferden, jeweils im Schritt, den „Einstieg“ in die richtige Zügelführung zu erfühlen. Es gelang gut und dieses Gefühl nahm ich mit nach Hause. Nun verwende ich es als Orientierung für den Beginn meiner Arbeit mit meinen beiden Ponys am Langzügel. Im Schritt gelingt es schon recht gut. Allerdings bin ich nach gut zehn Minuten schon etwas außer Atem. Lester lässt zu, dass alle meine Hilfen mit dem Langzügel gut umzusetzen sind. Aktuell sind wir beim Üben der Seitengänge angekommen. Meine Ponys bieten sich für die Arbeit mit dem Langen Zügel hochmotiviert an. Ich bin es, der in erster Linie an sich zu arbeiten und zu üben hat.
Das Thema Langzügel
Erst in Verbindung mit dem barocken Hang zur Repräsentation wurde die pferdefreundliche Reitlehre Xenophons wiederentdeckt. Das Beherrschen anspruchsvollster Übungen und Figuren unter dem Reiter und vom Boden aus wurde seitdem zur Reitkunst.
Heute pflegen die vier großen Reitinstitutionen Europas diese Schulen auf hohem Niveau:
- die Spanische Hofreitschule, Wien - Österreich
- der Cadre Noir de Saumur, Saumur – Frankreich
- die Real Escuela Andaluza del Arte Ecuestre, Jerez – Spanien
- die Escola Portuguesa de Arte Equestre, Queluz – Portugal
Auch bei vielen Freizeitreitern steigt vermehrt das allgemeine Interesse an seriöser, qualitätsvoller Ausbildung. Dabei führt dies zunehmende Begeisterung hin zur Arbeit am Langen Zügel, verbunden mit einer Nachfrage nach guten Ausbildern.
Wird der Lange Zügel korrekt geführt, so präsentiert sich das Pferd fein und ausbalanciert. Es soll bei genügend Anlehnung in allen Gangarten schwungvoll im Takt gehen. Abhängig vom Können seines Ausbilders sind alle Lektionen bis hin zu den hohen Schulen erreichbar.
Die Arbeitsgruppe „Langer Zügel“ um Christine Kalmeier trifft sich jährlich im Frühjahr zu einem intensiven Erfahrungsaustausch. Der Workshop ist hervorragend organisiert. Die Pferde sind bestens untergebracht. Eine Halle steht ausschließlich den Teilnehmern für die Zeit der Fortbildung zur Verfügung.
Die Unterbringung der Teilnehmer erfolgt in Bungalows auf Lück's Reiterhof oder in einem sehr netten Hotel in unmittelbarer Nähe. Ein traumhaftes Ausreitgelände verführt zu einem Anschlussaufenthalt. Der Pferdehof verfügt über einen eigenen flachen Zugang zu einem See, in den man tief hineinreiten kann.
Der Verband der klassischen Reitkunst Deutschland e.V. und der Verband der Freizeitreiter und -fahrer in Deutschland e.V. (VFD) unterstützen die Arbeit der Arbeitsgruppe „Langer Zügel“ von Christine Kalmeier.
Nähere Einzelheiten zur Arbeitsgruppe „Langer Zügel“ erfahren Sie bei:
Christine Kalmeier unter ckalmeier(at)web.de
Zum Schluss noch ein Lesetipp:
Das anerkannte “Nachschlagewerk“ für eine weiter- führende Auseinandersetzung mit den Anforderungen und Voraussetzungen, der Ausrüstung und der schrittweisen Vorgehensweise sowie den vielfältigen Ausbil- dungsmöglichkeiten der Langzügelarbeit:
Am Langen Zügel
von Saskia Gunzer und Nicole Künzel - WuWei-Verlag, 2011, ISBN 978-3-930953-69-
Fotos: Dalibor Gregor, Horst Brindel, Grit Strohbach, Lisa-Marie Giese, Kosmos Verlag
Artikel mit freundlicher Genehmigung vom Tölt.Knoten