Gut 9 Jahre ist mein Beitrag mit dem Titel das Fruktan-Märchen nun alt.

Hat sich etwas Wesentliches verändert? Eigentlich nicht viel, nur dass die Rolle von Insulin als eine recht häufige mögliche Ursache von Hufrehe nun auch unter Tierärzten hinlänglich bekannt zu sein scheint. Der Begriff Fruktane geistert aber immer noch im Zusammenhang mit der hoch schmerzhaften Erkrankung Hufrehe in den Köpfen und im Netz herum.

Kurz nochmals die Begriffe:

Hufrehe ist eine Entzündung bis hin zur Zusammenhangstrennung der Wandlederhaut im Huf, über die der Copyright H.M. Pilartz unterste Knochen des Pferdebeins, das Hufbein leicht elastisch im Hornschuf, also dem Huf aufgehängt ist. Als Ursachen kommen alle möglichen und unmöglichen Vergiftungen in Frage. Am weitaus häufigsten spielt dabei ein Übermaß an Insulin eine Rolle. Dieses produziert der Körper selbst, durch ein Zuviel an nicht-strukturierten Kohlenhydraten (NSK), zumeist Zucker oft aus Gras, aber auch aus anderen Futtermitteln wie Obst und Möhren sowie Getreidestärke aus Körner-Kraftfutter. Häufig handelt es sich um ein Zusammenspiel vieler Faktoren, wie Gras oder Heu (!!!!) aus Hochzuckergräsern, die es erst seit rd. 2-3 Jahrzehnten gibt, plus reichlich Mueslifutter, weil das arme Pony ja nicht nur vom Gras leben kann, wie viele fälschlich meinen!

 

 Rehe 8Insbesondere bei Hochleistungsgräsern spielen aber auch Endophytengifte eine Rolle, deren Produzenten als Pilzparasiten schon über den Grassamen in das „Turbogras“ hinein gezüchtet wurden. Die Rolle der Endyphytengifte ist sehr schwer zu bestimmen, weil sie augenscheinlich nur in stark durch Trockenheit und/oder Kälte gestresstem Hochleistungsgras in größerer Menge vorkommen. Die Natur ist sparsam, und die Endophyten schützen ihre Wirtspflanze augenscheinlich immer dann durch Giftabsonderungen, wenn es der so richtig an den Kragen geht.

Fruktane sind eine Speicherform des durch Photosynthese im Gras gebildeten Zuckers, die immer dann gebildet wird, wenn zwar Photosynthese stattfindet, dieser aber aufgrund von Mangel an Wärme und/oder Wasser nicht in Wachstum umgesetzt werden kann. Fruktane sind recht langkettige Zuckermoleküle, die im Darm des Pferdes schlechter aufgeschlossen werden können als andere Zucker. Durch Fruktane kann es zu einem „Darmgeschehen“ (Disbiose), einer massiven Veränderung der Darmbakterien kommen. Früher nahm man an, dies sei der Auslöser der Hufrehe. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist dies aber eine Begleiterscheinung, kein Glied in der Wirkungskette.

Das Perfide an der veralteten Fruktan-Theorie war vor allem, dass man andere Zuckerarten im Zusammenhang mit Hufrehe für harmlos hielt. Schon länger wissen wir es besser, siehe oben. Natürlich sind auch Fruktane nicht harmlos, sie sind aber „nur“ so schädlich wie andere Formen der NSK (nicht-strukturierten Kohlenhydrate).

Leider haben in den letzten 9 Jahren seit meinem ersten Beitrag zum Thema die Hufrehe-Fälle eher zu- als abgenommen. Woran liegt das?

Ganz augenscheinlich füttern die Pferdehalter ihre Tiere immer noch nicht besser, gesünder als vor 9 Jahren. Es fehlt nach wie vor das tiefere Verständnis. Gras ist im Hinblick auf Hurehe und verwandte Stoffwechselerkrankungen nicht viel gefährlicher als Heu. Gras durch Heu zu ersetzen klappt nur dann, wenn das Heu deutlich weniger Zucker enthält als frisches Gras.

Rehe 6

Der Zuckergehalt von Gras hängt im Wesentlichen von der „Wuchsfreude“ ab. Die wird durch die Grassorte, den Stickstoffgehalt des Bodens und die Jahreszeit/das Wetter beeinflusst. Am höchsten ist der Zuckergehalt im Mai, während des stärksten Graswachstums. Als Folge enthält Heu etwa Mitte bis Ende Mai geworben weit weitem mehr Zucker als spät geworbenes Heu. Empfindliche Pferde mit Neigung zur Fettleibigkeit sollten im Mai eher nicht oder nur sehr eingeschränkt auf die Weide. Ausgesprochen gefährlich ist ein Weideauftrieb zum 1.Mai. Die Umstellung von Heu auf Gras findet dann aufgrund der schnell wachsenden hoch zuckerhaltigen Gräser einfach viel zu abrupt statt.

Eine wesentliche Rolle spielen auch der Boden sowie seine Düngung. Altes, extensiv bewirtschaftetes Dauergrünland ist nicht nur sehr kräuterreich und bietet zahllosen Arten Lebensraum, es auch ideal für leichtfutterige Equiden (Pferde, Mulis, Esel). Der Zuckergehalt ist aufgrund des natürlich niedrigen Nitratgehaltes vergleichsweise gering. Wenn solche mageren Böden nicht mit Stickstoffdünger oder Gülle künstlich aufgedüngt werden, haben hier moderne Hochleistungsgräser kaum eine Überlebenschance. Auf natürlich stickstoffreichen Böden oder solchen, die gedüngt werden, verhält es sich genau umgekehrt, hier verdrängen die modernen Turbogräser alle anderen Pflanzen.

Sobald ab etwa Mitte Juni oder im Juli das Gras gelblich wird, sinkt nicht nur das Wachstum, es sinkt auch der Zuckergehalt. Um auf gemähten Flächen im frühen Herbst evtl. wieder drastisch anzusteigen. Wann man Risikotiere also uneingeschränkt auf die Weide lässt, hängt vom Stickstoffgehalt des Bodens und von der Jahreszeit ab, die den Zuckergehalt des Grases bestimmen.

Rehe 8Können Risikotiere nicht oder nur eingeschränkt auf die Weide, MÜSSEN sie mit Heu gefüttert werden, welches einen möglichst niedrigen Zuckergehalt hat. Das bekommt man dort, wo die Weiden für Rehe-Kandidaten gefährlich sind, zumeist nicht um die Ecke. Und man bekommt es NICHT bei Landwirten, die Heu für Milch- oder Fleischrinder werben. Es sei denn, man kann so große Mengen kaufen, dass es sich für einen solchen Landwirt lohnt, später noch einen Schnitt „Pferdheu“ zu werben.

Ausgesprochen schlecht ist die Idee, Pferde von der Weide zu holen und als Alternative in Boxen zu sperren. Denn die Wurst hat bekanntlich zwei Enden, da wo Zucker rein geht und da wo er durch Muskelarbeit raus geht. Die meisten zu dicken Pferde bewegen sich zu wenig, was durch Boxenhaltung natürlich am schlimmsten ist. Auch wenn besorgten Pony-Muttis der „Wegschließer-Fraktion“ („…damit ja nichts an den Liebling dran kommt….“) das Argument, Gras sei schließlich gefährlich, gut zu passen scheint.

Wenn also adipöse Pferde im Mai nicht auf die Weide dürfen, gibt es nichts Besseres für sie als eine klug geplante Paddock-Trail-Anlage mit einer verträglichen Gruppe, in der sich die Tiere selbst im Zweifel zur Bewegung animieren. Regelmäßige Muskelarbeit hält fit und dient einem ausgeglichenen Stoffwechsel, kaum etwas ist für das Lauftier Pferd wichtiger!

Warten auf Weide

Apropos Boxenhaltung: Viele Pferdehalter unterschätzen deren schädliche Wirkung, die sich im Zweifel erst unmittelbar nach dem Verlassen der Box entfaltet! Pferde als Lauftiere leiden unter aufgestautem Bewegungsdrang, kaum haben sie die Box hinter sich, legen sie einen höchst ungesunden Kaltstart hin, für den sie die Natur nicht vorbereitet hat. Anders als wir machen sie draußen nur kleine Nickerchen und bringen sich direkt nach dem Aufstehen durch etliche kurze Schritte wieder recht flott in Fluchtbereitschaft. Dazu gehören mit Gelenkflüssigkeit gefüllte Gelenke und aufgewärmte Muskeln und Sehnen! Darüber hinaus sinkt bei Boxenhaltung über etliche Stunden die Durchblutung in den Beinen, häufig schon von außen erkennbar an „angelaufenen“ Beinen (Lymphstau). Anders als wir Menschen haben Pferde recht lange Strecken für Arterien und Venen ohne die durchblutungsfördernde Muskelkontraktion. Diese langen Blutbahnen beginnen schon oberhalb der Karpal- und Tarsalgelenke. Damit unterhalb das Blut vernünftig zirkulieren kann, MUSS das Tier laufen können, und zwar deutlich mehr als in einer Box möglich.

Schädlich und eindeutig lebensverkürzend sind heute für Pferde drei Faktoren:

  • Zu mastiges Futter mit einem deutlichen Zuviel an NSK (s.o.), als Folge Adipositas, die vor allem bei großrahmigen Tieren durch „okultes Bauchfett“ nicht immer leicht zu erkennen ist;
  • Zu wenig regelmäßige Bewegung, Boxenhaltung oder zu wenig Bewegungsanreize durch Einzelhaltung und/oder phantasielose Haltungssysteme;
  • Zu frühe oder zu spontane, falsche, weil schlecht vorbereitete Nutzung.

Autor: Hanno Pilartz

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