Aus den Reihen von Politik (NDR, 2021) und diverser Jagd- und Weidetierverbände (Jägermagazin, 2017; Schafzucht, 2020) nahm in den letzten Jahren die Forderung nach einer Obergrenze des Wolfsbestands in Deutschland merklich zu. Vermehrte Übergriffe auf Nutztiere sowie Ängste und verlorengegangenes Wissen zum Umgang mit dem Wolf, entfachen immer wieder die Diskussion um eine maximale Anzahl an Wölfen, die in Deutschland leben dürften. Vergleiche mit den Nachbarländern – allen voran Schweden und deren unzulässige Einführung einer Obergrenze (EU Parlament, 2019) – verschärfen diese Debatten. Bei näherer Betrachtung der Biologie von Wölfen, ihr ausgeprägtes Wanderverhalten und deren territoriale Ausbreitung über Ländergrenzen hinaus wird deutlich, dass auch unsere Nachbarländer wie Polen, Tschechien oder Dänemark eine Obergrenze fordern müssten.
Aber ist die Festlegung einer Obergrenze überhaupt rechtlich zulässig? Geprüft und abschließend beurteilt wurde dies durch die Rechtsanwälte Kremer l Werner mit dem Ergebnis, dass eine Obergrenze für den Wolfsbestand in Deutschland derzeit nicht rechtmäßig und damit rechtlich nicht umsetzbar ist. Als Bewertungsgrundlage wurde Artikel 16 Abs. 1 der FFH-RL (Fauna-Flore Habitat Richtlinie) herangezogen. In diesem Artikel werden die Ausnahmereglungen definiert, damit die Tötung von Wölfen zulässig ist. Das sind:
- 1) Verhinderung ernster Schäden,
- 2) keine zumutbaren Alternativen und
- 3) Erreichung oder Beibehaltung des günstigen Erhaltungszustands.
Gegenwärtig liegt keine dieser Ausnahmevoraussetzungen vor, die die Einführung von Obergrenzen rechtfertigt und in den nächsten 10-15 Jahren wird auch nicht die Möglichkeit nach dessen Umsetzung bestehen. Nachlesen kann man die Stellungnahme kurz und bündig hier (Zulässigkeit_Obergrenze_Wolf_short_version.pdf122.59 kB) oder die ausführliche Version hier (Zulässigkeit_Obergrenze_Wolf_long_version.pdf2.95 MB).
Der Begriff Obergrenze ist kein Kriterium, den Wolfsbestand zu regulieren. Über die FFH-Richtlinie kann grundsätzlich nur der günstige Erhaltungszustand für die Erteilung einer Ausnahmeregelung zur Bejagung herangezogen werden. Auch wenn momentan die Festlegung einer Obergrenze rechtswidrig ist, wird die Forderung danach dennoch immer wieder gestellt und provokant in der Presse und anderen Medien platziert werden (aktueller Beitrag St. Georg).
So stellt sich die Frage, worauf sich die Forderung begründet und ob eine Obergrenze überhaupt den gewünschten Erfolg von weniger Rissschäden zur Folge hätte?
Seit 2008 nahm die Zahl der bestätigten Rudel und Wolfspaare pro Jahr um etwa 30% zu (Heurich, 2019), mit einem leichten Rückgang ab dem Monitoringjahr 2019/2020.
Damit gab es rechnerisch tatsächlich ein exponentielles Wachstum über 12 Jahre, jedoch zeigt die grafische Darstellung, dass die jährliche Zunahme der Wolfspopulation ab 2019 zwischen 22-24% liegt, damit abflacht und sich an der natürlichen Kapazitätsgrenze des Lebensraums einpendelt. Das häufig in Erwartung gestellte fortschreitende exponentielle Wachstum wird nicht nachgewiesen.
Eine vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) publizierte Studie zur Habitatmodellierung, das heißt der Berechnung möglicher Besiedlungsgebiete durch Wölfe innerhalb Deutschlands, geht von 700-1400 potenziellen Territorien aus (Kramer-Schadt et al., 2020). Im aktuellen Monitoringjahr (2021/2022) wurden 225 Territorien (161 Rudel, 43 Wolfspaare, 21 Einzeltiere) bestätigt (DBBW, 2022). Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht, dass die berechnete Kapazitätsgrenze noch lange nicht erreicht ist und damit die Voraussetzung für einen günstigen Erhaltungszustand fehlt.
Mit steigender Anzahl von Wolfsrudeln, nahmen auch die Übergriffe auf Nutztiere zwischen 2007 – 2021 nachweislich zu (DBBW, 2021). Im Gegenzug war ein starker Rückgang um 15% geschädigter Nutztiere 2020/2021 zu verzeichnen (ebd.: 3). Erklären lässt sich die Zunahme an Übergriffen dadurch, dass Wölfe sich kontinuierliche ausbreiten, neue Gebiete ergründen und damit auch auf ungeschützte Nutztiere treffen. Präventionsmaßnahmen und erforderliche Informationskampagnen werden nur unzureichend gefördert und proklamiert, so dass Nutztierhaltende oftmals unvorbereitet mit der Neuansiedlung von Wölfen konfrontiert sind. Jedoch scheinen Herdenschutzmaßnahmen sehr wohl geeignete Instrumente zu sein, Übergriffe längerfristig zu verhindern, da die Anzahl der geschädigten Nutztiere zurückgehen (LfU, 2022).
Bemühungen um eine Reduzierung der Konflikte zwischen Wölfen und Weidetierhaltenden müssen sich auf den kontinuierlichen Ausbau und der Förderung von Herdenschutzmaßnahmen konzentrieren. Auch Pferdehaltende sind gefragt, sich proaktiv zu informieren und Schutzmaßnahmen in Erwägung zu ziehen.
Daher fordert die VFD stetig bei allen Gesprächen mit Politik und Verwaltung die Förderung von wolfsabweisenden Zäunen – auch für Pferde, insbesondere für Fohlen und Ponys.
Referenzen:
DBBW (2022): Bestätigte Wolfsterritorien in Deutschland - DBBW (Tag des Zugriffs: 08.12.2022)
DBBW (2021): Wolfsverursachte Schäden, Präventions- und Ausgleichszahlungen in Deutschland 2021. 41 S.
Heurich, M. (Hrsg.) (2019): Wolf, Luchs und Bär in der Kulturlandschaft -Konflikte, Chancen, Lösungen im Umgang mit großen Beutegreifen. Verlag Eugen Ulmer.
Kramer-Schadt, S., Wenzler, M., Gras, O., Knauer, F. (2020): Habitatmodellierung und Abschätzung der potenziellen Anzahl von Wolfsterritorien in Deutschland. BfN-Skripten 556.
Landesamt für Umwelt Brandenburg (2020): Gemeldete Nutztierschäden und Rissstatistik im Land Brandenburg. Nutztierrisse | Startseite | LfU (brandenburg.de) (Tag des Zugriffs: 08.12.2022)