Was war passiert? Ein Reiterhof unternahm mit einer Gruppe von 9 Reitern/innen einen geführten Ausritt. Auf dem Rückweg, kurz vor dem Hof, musste die Gruppe in der Dämmerung eine Landstraße, mit einer langgezogenen Kurve überqueren. Wegen eines hohen Maisfeldes war diese Kurve lediglich auf 60 Metern einsehbar. Auf Anweisung der Rittführerin schloss die Gruppe dicht auf und versuchte die Straße nach dem Kommando „zu Zweien“ zu überqueren. Die Schlussreiterin ritt ein ihr vertrautes Schulpferd. Sie trug eine Warnweste. Ein Autofahrer fuhr mit ca. 65 km/h frontal in die Schlussreiterin und ihr Pferd hinein. Diese wurde in die Windschutzscheibe geschleudert und schwer verletzt. Die Reiterin hat eine lebenslange Behinderung davongetragen. Das Pferd musste aufgrund seiner schweren Verletzungen eingeschläfert werden. Die Versicherung des Fahrers weigerte sich der Reiterin Schmerzensgeld zu zahlen. Daraufhin klagte die Reiterin.
Das Landgericht Hanau entschied dann im ersten Verfahren, dass die Mitglieder der Reitergruppe den Anweisungen der Rittführerin nicht „blind“ hätten folgen dürfen. Auch sah es die Gruppe nicht als geschlossenen Verband im Sinne der Straßenverkehrsvorschriften an. Da die Gruppe nicht als solcher gekennzeichnet war, hätten sie auch keinen Vorrang gegenüber dem allgemeinen Verkehr gehabt.  Die Schlussreiterin erhielt die volle Schuld zugesprochen.

Nun erging ein Urteil im Berufungsverfahren, das ebensowenig nachvollziehbar ist.
Das Oberlandesgericht Frankfurt sprach der Reiterin nun zwar nur eine Teilschuld von 25 Prozent zu und erkannte die Reitergruppe auch als Verband an, erklärte aber andererseits, dass die Reiterin nicht davon ausgehen durfte gesehen zu werden und sie hätte warten müssen bis der Verkehr vorbeigefahren war. Der Anweisung der Rittführerin hätte sie insoweit nicht folgen dürfen.
Der PKW Fahrer hätte allerdings ebenfalls aufmerksamer und auf Sicht fahren müssen. Er sei unter den gegebenen Umständen zu schnell gefahren.

Der Ehemann der Reiterin fragt sich, was so ein Urteil zukünftig für geführte Ritte bedeutet und erwartet nun eine Stellungnahme der FN.

Was wird in der der VFD zu diesem Vorfall gelehrt?

Unsere Experten, die Bundessportwartin Marion v. Kajdacsy und unser Fachexperte Hajo Seifert sind folgender Auffassung:

Das OLG Frankfurt hatte in dem Urteil festgestellt, dass die Reiter tatsächlich einen geschlossenen Verband bilden, der jedoch nicht gekennzeichnet war. Die Kennzeichnung eines Verbandes ist gem. § 27 Abs. 3 StVO jedoch nur für KFZ-Verbände vorgeschrieben, nicht aber für Reiterverbände.

Beim Reiten in der Dämmerung im öffentlichen Verkehrsraum reichen Warnwesten keinesfalls aus! Hier ist auf jeden Fall eine Beleuchtung nach StVO erforderlich (§17  StVO). Wobei beim Überqueren auch eine seitliche Beleuchtung notwendig gewesen wäre.

Auf einer Landstraße (anscheinend außerhalb einer geschlossenen Ortschaft) ist damit zu rechnen, dass Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h fahren, eventuell (verkehrswidrig) sogar schneller. Bei einer Sicht von nur 60 Metern hätte die Gruppe die Straße keinesfalls „zu Zweien“ an dieser Stelle überqueren dürfen. Stattdessen wäre es besser gewesen, wenn die Rittführerin eine andere, sicherere Stelle, z.B. etwas weiter oben oder unten an der Straße, für die Überquerung gewählt hätte. Zumindest wäre es sicherer gewesen wenn die Gruppe statt „zu Zweien“ die Straße im „rechts oder links um“ überquert hätte, so dass alle Reiter gleichzeitig die andere Straßenseite erreicht hätten. Allerdings wäre selbst das an dieser Stelle für einen verantwortungsvollen Ritterführer kaum zu verantworten gewesen.

Verantwortlich für die Art der Straßenüberquerung, die Einhaltung der StVO und entsprechend auch für eine unnötige Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bzw. seiner Mitreiter ist nach § 27 Abs. 5 der Rittführer. (Der Führer des Verbandes hat dafür zu sorgen, dass die für geschlossene Verbände geltenden Vorschriften befolgt werden.)

Die Rittführerin kann in dem Fall also froh sein, dass sich die Klage der Reiterin nur gegen den Autofahrer richtete und nicht gegen sie wegen Mitverschulden. Auch der Autofahrer bzw. dessen Versicherung hätten durchaus in diesem Verfahren noch die Möglichkeit gehabt, der Rittführerin den Streit zu erklären und sie so noch mit in das Boot zu holen, denn die von ihr geführte Gruppe war nicht ausreichend beleuchtet und sie hat die Reitgruppe die Straße unter einem hohen Risiko überqueren lassen. Die Rittführerin hat also „Schwein gehabt“ ...!

Wäre die Schlussreiterin tatsächlich zurückgeblieben wäre das Risiko eines Unfalls noch erheblicher gestiegen.

Das Urteil ist rechtskräftig. Az.: 10 U 240/09 vom 16.12.11

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