Ungarische Grundhaltung d Leinen TAmbros kleinUngarische Grundhaltung der LeinenÜber einen Monat nützten acht Fahrsportinteressierte ihre Freizeit, um sich intensiv auf die VFD-Prüfung zum Fahrerpass I vorzubereiten. Am sonnigen Christi-Himmelfahrtstag, dem 09.05.2013, war es soweit.

Veranstalter dieses Fahrkurses war der Fahrstall von Franz Obermüller, in Königsdorf bei Bad Tölz. Mit seiner langen Tradition und großen Erfahrung im Fahren und Einsatz von Pferden, seinem ergiebigen Fundus an Geschirren und Ausrüstungsgegenständen und den gut ausgebildeten Süddeutschen Kaltblütern Bella, Babsi, Dora und Hans leistete er einen wesentlichen Beitrag zur Durchführung und zum Gelingen des Fahrkurses.

Für die Ausbildung zeichnete Pferdewirtschaftsmeister und Fahrlehrer Josef Schrallhammer (VFD/FN) verantwortlich. Seit Jahren setzt er sich für traditionelle Anspannungen und die vielseitigen Umsetzungsmöglichkeiten der verschiedenen Fahrkulturen und Fahrweisen ein.

Seine Beiträge zur englischen und ungarischen Kultur und ihrer zeitgemäßen Anwendung sowie der Geschichte des Fahrens stoßen in Fachkreisen vermehrt auf großes Interesse.

Eine Einladung als Referent des 22. Internationalen Pferde- und Fahrsportsymposiums 2013 der Vereinigung zur Pflege und Förderung der Fahrkultur und des Fahrsports e.V. in Bernried am Starnberger See erlaubte Josef Schrallhammer die Unterschiede und die Übereinstimmung der englischen und ungarischen Leinenhaltung darzustellen. Das ist in einer systematischen Aufarbeitung sowohl für die theoretische Vermittlung als auch für die praktische Umsetzung unter Berücksichtigung der Gemeinsamkeiten, der aus der ursprünglichen Zügelhaltung entwickelten ungarischen und deutschen Fahrlehre, wegweisend gelungen.

Verwurzelt in der Tradition des bayerischen Oberlandes im Fahren und dem Einsatz von Pferden, entschieden sich die acht aufgeschlossenen Kursteilnehmer für eine Ausbildung im „Fahren auf ungarische Art“. Grundlage war dabei die Entwicklung der Leinenhaltung aus der Zügelführung ähnlich der alten deutschen Fahrlehre, wie sie auch bei den in dieser Region typischen, vom Sattel aus gefahrenen Gespannen Verwendung findet.

Mit ihrer Entscheidung für die „Ungarische Fahrweise“ entsprachen die Kursteilnehmer nicht nur dem Grundgedanken der Vereinigung der Freizeitreiter und –fahrer Deutschlands (VFD), die vielseitigen Aspekte der Reit- und Fahrkultur zu fördern, sondern sogar dem Wunsch Seiner Königlichen Hoheit Ludwig Prinz von Bayern (1913 – 2008), der „Ungarischen Fahrweise“ mehr Beachtung zu kommen zu lassen.

Seine Königliche Hoheit Ludwig Prinz von Bayern war nicht nur engagierter Züchter der Pferde des Wittelsbacher Gestütes Sárvár (Ungarn), die nach Kriegsende ihre Zuflucht in Leutstetten fanden. Er war zudem ein Bewunderer und Förderer seines Freundes Tibor von Pettkó-Szandtner, der sich als einer der erfolgreichsten Fahrer seiner Zeit für die „Ungarische“ Fahrweise verdient gemacht hat und im Waldfriedhof Starnberg begraben ist.

Die von Ausbilder Josef Schrallhammer vorgenommene systematische Angleichung der „Ungarischen“ Fahrlehre an das Fahr- und Anspannungssystem nach Benno von Achenbach ermöglichte eine Vermittlung von Theorie und Praxis in dem erforderlichen Umfang mit den Schwerpunkten Betriebsicherheit, Zweckmäßigkeit und Schonung der Pferde.

Zuerst wurde die Leinenhaltung der „Ungarischen Fahrweise“ in gewohnter Weise am Fahrlehrgerät geübt, um die Kursteilnehmer auf die Bedeutung und auf die Möglichkeiten der Koordination und Kontrolle eines Gespannes im Straßenverkehr vorzubereiten.

Die Bezeichnungen der einzelnen Leinenhaltungen und –griffe der „Ungarischen Fahrweise“ wurden von Fahrlehrer Josef Schrallhammer entsprechend den Vorlagen von Tibor von Pettkó-Szandtner (A Magyar Kocsizás - Fahren auf Ungarische Art) und dem Fahrsystem nach Benno von Achenbach (Anspannen und Fahren) aufeinander abgestimmt.

Auf korrektes Auf- und Abschirren, sowie der erforderlichen Sicherheit beim An- und Ausspannen wurde während des Unterrichts stets größter Wert gelegt.

Besondere Aufmerksamkeit erhielten die verwendeten Arbeits- und Festgeschirre: Dabei konnte auf die ausgiebigen Aufzeichnungen von Manfred Kurz (Blaubeuern) zurückgegriffen werden, die zum Teil in dem leider vergriffenen Buch „Das traditionelle Arbeits- und Festgeschirr“ (Starke Pferde-Verlag, 1. Auflage 2010) veröffentlicht sind und für die dem Verfasser in Anerkennung seiner Verdienste für die Heimatforschung Baden-Württemberg 2010 der Landespreis für Heimatforschung verliehen wurde.

Die Funktionsweisen der verschiedenen Kreuzleinen insbesondere der Széchényi-Leine, der Achenbach-Leine und der Deutschen Kreuzleine waren ebenfalls Inhalt ausführlicher theoretischer und praktischer Auseinandersetzung.
Da mit traditionellem Arbeits- und Festgeschirr gefahren wurde, fand hauptsächlich die Deutsche Kreuzleine Verwendung: Ihre Vorteile liegen in den vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten, wie sie früher der Arbeitsalltag erforderte.

Um schon während des Aufsteigens eine sichere Verbindung zu den Pferden zu gewährleisten, mussten die Kursteilnehmer die Leinenaufnahme entsprechend der „Ungarischen“ Leinenhaltung erlernen. Hier orientierte sich Ausbilder Josef Schrallhammer ebenfalls an der Fahrlehre Benno von Achenbachs.

Gefahren wurde mit den gut ausgebildeten Kaltblütern des Fahrstalles von Franz Obermüller in der Umgebung von Königsdorf und in der Ortschaft selbst.

Die Entwicklung der Leinenhaltung aus der Zügelführung verbindet die ungarische mit der alten deutschen Fahrlehre, die ursprünglich durch vom Sattel aus gefahrenen Gespannen geprägt war. Bis heute wird diese Fahrweise in der bäuerlichen Tradition des bayerischen Oberlandes gepflegt. Zusätzlich förderten Seine Königliche Hoheit Prinz Ludwig von Bayern und Tibor von Pettkó-Szandtner das Verständnis für die Ungarische Fahrkultur in dieser Region.

Die einfache und sichere Umsetzung der Ungarischen Leinenführung überzeugte die Kursteilnehmer ohne Wenn und Aber.

Der VFD-Prüfer und Fahrbeauftragte Horst Brindel ließ es sich als Kenner der ungarischen Kultur nicht nehmen, die Prüfung des ersten Fahrkurses mit „Ungarischem Fahrsystem“ abzunehmen. Gemeinsam mit VFD-Prüferassistent und VFD- und FN-Fahrausbilder Fritz Suckart konnte er sich von deren Bedeutung und Entwicklungsmöglichkeiten persönlich überzeugen.

Für die acht bestens vorbereiteten Kursteilnehmer begann die Prüfung zum VFD Fahrerpass I pünktlich nach der Begrüßung um 9.30 Uhr in entspannter Atmosphäre unter weiß-blauem Himmel mit der Demonstration der Ungarischen Leinenhaltung und den einzelnen Leinengriffen am Fahrlehrgerät. Bereits hier fiel die einfache wie effektive Handhabung der Leinen für die erforderliche Koordination und Kontrolle eines Gespannes auf.
Prüfungsteilnehmerin Ursula Pirner, die bereits einen Fahrlehrgang zum vergleichbaren FN Fahrabzeichen Klasse IV mit Erfolg absolvierte, lobte die entspannte und Kraft schonende Leinenhaltung des Ungarischen Fahrsystems.

Nachdem die Teilnehmer der Prüfung die erforderlichen Kenntnisse der Geschirr- und Wagenkundekunde unter Beweis stellen konnten, standen ihre Fähigkeit des korrekten und sicheren Aufschirrens und Anspannens im Fokus der Prüfer.

Anschließend absolvierten die Prüflinge der ersten Gruppe am abfahrbereiten Gespann, das durch einen Beifahrer gesichert wurde, die vollständige Leinenaufnahme unter Berücksichtigung der Ungarischen Leinenhaltung. Angespannt waren die beiden süddeutschen Kaltblutdamen Babsi und Dora.

Ursula Pirner und Marion Högen, aktive VFD Wanderreiterinnen und Vertreterinnen des Fahrstalles von Franz Obermüller, nahmen als erste auf dem Kutschbock Platz, um sich dem praktischen Teil der Fahrprüfung zu unterziehen. Ihnen ist nicht nur die Organisation des Fahrkurses zu verdanken, sondern sie wirkten auch aktiv an der Gestaltung des gesamten Fahrkurses mit: Vom Stallmanagement über die Verpflegung der Kursteilnehmer bis hin zur Übernahme der Verantwortung als aktive Beifahrerinnen standen sie überall mit Rat und Tat unermüdlich und zuverlässig zur Verfügung. Ohne sie wäre die Durchführung des Fahrkurses nicht möglich gewesen.

Nach den ersten Prüfungsfahrten von Ursula Pirner und Marion Högen stellten sich Teresa Gilgenrainer und Vater Josef Gilgenrainer den an sie gestellten Anforderungen mit Erfolg: Die gemeinsam bestandene Prüfung und die Aussicht auf gemeinsame Fahrten und Ausflüge mit seiner Tochter und dem eigenen Gespann war für Josef Gilgenrainer an diesem Vatertag mit Sicherheit das schönste Geschenk.
Für Ursula Pirner und Marion Högen beginnt am Fahrstall Obermüller mit der bestandenen Prüfung neben ihren vielen interessanten Reitunternehmungen auch eine Zukunft als aktive Fahrerinnen für die verschiedensten Anlässe.

Zurück am Fahrstall Obermüller, in der Ortsmitte Königsdorfs direkt an der viel befahrenen Staatsstrasse B 11 gelegen, wurde für die zweite Gruppe unter Berücksichtigung aller Sicherheitsbestimmungen der erforderliche Gespannwechsel vorgenommen: Die Fahrschüler hatten nun ein zweites Mal Gelegenheit ihr erworbenes Wissen in Geschirr- und Wagenkunde, ihre Fertigkeiten im Umgang mit Fahrpferden sowie ihr Können im An- und Abspannen und Auf- und Abschirren unter den erforderlichen Sicherheitsaspekten unter Beweis zu stellen.

Für die Prüfung kamen das traditionelle Festgeschirr und eine historisch nachgebaute Wagonette des Fahrstalles zum Einsatz.
Während des Kurses wurde mit einem Fahrschulwagen und den verschiedenen Arbeitsgeschirren des Fahrstalles angespannt.

Für die zweite Gruppe hieß es nun „Antreten“ zur Leinenaufnahme.
Alle Teilnehmer hatten sich mit dem Aufnehmen der Leinen intensiv beschäftigt, so dass diese Hürde schnell und gekonnt genommen war.
Für das Aufnehmen der Leinen mit der ungarischen Széchényi-Leine und der in der Prüfung zum Einsatz gekommenen deutschen Kreuzleine in ungarischer Leinenhaltung hatte Ausbilder Josef Schrallhammer in Anlehnung an das Fahr- und Anspannungssystem von Benno von Achenbach mit den Kursteilnehmern eine vergleichbare Möglichkeit der korrekten Handhabung der Leinen zum Besteigen der Kutsche entwickelt.

Als erster Fahrer der zweiten Gruppe erklomm Michael Leitner den Kutschbock und „leitete“, seinem Namen alle Ehre machend, das Gespann Babsi und Hans sicher durch den regen Feiertagsausflugsverkehr Königsdorfs.
Auf ihn warten im „schwiegerväterlichen“ Stall vier gekörte Hengste.

Anschließend fuhren Karl Stapf und Tom Konheiser das Gespann souverän durch die Strassen und Gassen Königsdorfs. Beide haben als „Schwarzfahrer“ bereits ihre einschlägigen Erfahrungen gemacht und können in Zukunft ihre gemeinsame Freizeitbeschäftigung mit „gutem Gewissen“ und ihren neu erworbenen Fertigkeiten und Kenntnissen ausüben.

Zu guter Letzt übernahm Franz Hartl, Spross einer alteingesessenen Familie von Bergbauern, Wildschützen und Leonhardifuhrleuten, die Leinen für die Prüfungsfahrt.
Als geübter Vorreiter vom Sattel aus bzw. mit Stoßzügel gefahrenen Gespannen, war sein Anliegen durch die Teilnahme an dem Fahrkurs die Leinenhaltung vom Bock aus korrekt zu erlernen.

Im Anschluss an ihre erfolgreichen Prüfungsfahrten wartete auf die Prüflinge noch eine umfangreiche schriftliche Prüfung mit ausführlichen Fragen zur Fahrlehre, Wagen- und Geschirrkunde, Leinenverschnallung und Pferdekunde:

Als gestandene Fuhrleute waren ihnen Bezeichnung der Ausrüstungsgegenstände wie Spitzkumt, Oberriemen, Stollen, Kumtfleck, Schmotzbüchse, Voderstössel, Dachsdecke, Flatterscheibe, Radschuh, Schell- oder Rosenriemen. Mittel-, End- und Seitenklaffe keine böhmischen Dörfer mehr.

Die Auswertung des anspruchsvollen Prüfungsbogens ergab ein ebenso ausgeglichen überdurchschnittliches Ergebnis wie zuvor die praktische Fahrprüfung. In eindringlichen Worten verwies Prüferassistent Fritz Suckart darauf, sich auf den erworbenen Lorbeeren nicht auszuruhen, sondern stetig eine Verbesserung der eigenen fahrerischen Fähigkeiten und höchste Sicherheit anzustreben. Nun fieberten die Prüflinge mit freudiger Erwartung der Aushändigung ihrer redlich erworbenen Abzeichen zum VFD-Fahrerpass I entgegen, die von Fahrprüfer und VFD- Fahrbeauftragten Horst Brindel mit anerkennenden Worten überreicht werden konnten.

Bevor alle Teilnehmer dieses Fahrkurses ihren Erfolg in geselliger Runde feierten, ließ es sich Stallbesitzer Franz Obermüller nicht nehmen, diese Veranstaltung als einen bemerkenswerten Höhepunkt seines langjährigen Engagements für Kultur und Sport des Fahrens zu bezeichnen.

Fazit des ersten ungarischen Fahrkurses mit VFD-Fahrabzeichen:

Die ungarische Fahrweise entspricht der alten deutschen Fahrlehre in ihrer aus der Zügelführung entwickelten Leinenhaltung.
Die entspannte waagrechte Positionierung der Fäuste erleichtert die Leinenhaltung und die Umsetzung der einzelnen Leinengriffe.

Die senkrechte Stellung der Fäuste bei der Leinenhaltung des Fahrsystems nach Benno von Achenbach fordert und ermöglicht ein höheres Maß an Präzision, die jedoch in der täglichen Arbeit mit Pferden und auf längeren Fahrten vor allem in schwierigen Situationen dauerhaft nicht aufrechterhalten bzw. gewährleistet werden kann.

Aus diesem Grund hat sich im modernen Fahrsport mit seinen hohen Anforderungen die ungarische Leinenhaltung zunehmend durchgesetzt: Bereits zu Lebzeiten Benno von Achenbach´s dominierte „Publikumsliebling“ Tibor von Pettkó-Szandtner die internationale und deutsche Fahrsportszene mit „seiner“ ungarischen Fahrweise.
Benno von Achenbach und Tibor von Pettkó-Szandtner verband eine auf größtem Respekt und gegenseitiger Achtung basierende Freundschaft.

Die ungarische Széchényi-Leine und die deutsche Kreuzleine stellen gleichwertige Alternativen zur Achenbach-Leine mit entsprechender Bandbreite der Leinenverschnallung und unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten dar.

Der Vorbereitungskurs und die Prüfung zum VFD Fahrerpass I haben deutlich gemacht, dass die einfache wie effektive ungarische Leinenhaltung eine entspannte Lernsituation und ein ausgewogenes und gutes Ergebnis für alle Kursteilnehmer begünstigt.

Für die Förderung der unterschiedlichen Reit- und Fahrkulturen im Rahmen des VFD Ausbildungsprogramms war dieser erste Fahrkurs im „Ungarisch Fahren“ ein wichtiger Beitrag, der der langjährigen Erfahrung des VFD-Übungsleiters und Pferdewirtschaftsmeisters Josef Schrallhammer sowie der Unvoreingenommenheit und Aufgeschlossenheit der vom Fahrsport begeisterten Kursteilnehmer zu verdanken ist.
Möge sich ihnen die Erfahrung der Fuhrleute erschließen:

„Meine Freud` ist Ross und Wagen.“

Kutschenimpression  TAmbros

Martin Rupert (MaRu)

JS/HB 05-2013

Alle Fotos: T.Ambros

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