Oder: wie dankbar können wir in Deutschland sein.
Edith lebt in der Lombardei, die von Covid-19 am stärksten betroffene Region Italiens. Wie sie die Krise, die Ausgangssperre und das Reitverbot erlebt berichtet sie in einem kurzen Brief.
Mein Leben in Italien mit meiner jungen Stute “Carta Bianca” (Übersetzung „Weißes Papier“) war in den letzten Jahren immer fantastisch, zwischen Cross Country Turnieren und gemeinsamem Schwimmen im Sommer am Lago Maggiore. Nie dachten wir daran, welch ein Glück wir hatten, mit unserem Pferd viele unterschiedliche tagtägliche Erfahrungen leben zu können - denn alles kann von einem Tag auf den anderen ganz anders aussehen. Wir sind in der Lombardei und wir sind in der am stärksten betroffene Region des Covid19. Carta Bianca ist in einer Stallanlage mir ca. 80 Pferden untergebracht, davon sind mehr als die Hälfte Sportpferde, welche normalerweise täglich von den Besitzern geritten werden.
Ende Februar kamen die ersten Einschränkungen und wir Besitzer durften nur zu bestimmten Uhrzeiten alle zwei bis drei Tage zum unseren Pferden. Nach einer Woche wurden die Tore komplett geschlossen. Auf einmal standen alle Pferde unter der Verantwortung des Pferdehalters. Um uns rum wurde alles außergewöhnlich still, keiner durfte mehr aus dem Haus und wir mussten lernen darauf zu vertrauen, dass andere sich um unsere Pferde kümmern. Die ersten Tage vergingen… 1 Woche… 2 Wochen… 3 Wochen und die Zeit wurde auf einmal sehr lang zu Hause und so wertvoll… Jetzt da wir alle im Home Office bleiben müssen, wäre es ja schön seinem Pferd endlich mehr Zeit widmen zu können. Aber wir durften ja aus keinem Grund mehr hin. Zwischendurch bekamen wir in der Whats App Gruppe des Reitstalls ein paar Fotos und versuchten darauf jede Einzelheit zu beobachten. So lernten wir erst wie wertvoll jede Einzelheit ist… Was würden wir geben, um unsere Pferde auch nur zu sehen… Versprechungen, dass wir uns diese vermisste Zeit wieder zurückerobern werden sobald alles vorbei sein wird!
Dann werden es 4 und dann 5 Wochen, in denen ich meine liebe kleine Schimmelstute nicht sehen darf… Ich sehe mir Fotos der letzten Jahre an und die Sehnsucht nach einer Umarmung um ihren Hals steigt immer mehr. Ich träumte von ihrem Geruch und galoppiere mit ihr FREI in meinen Gedanken! Genau das ist es, die Freiheit, die wir so gewohnt waren zu besitzen und selbst ohne Einschränkungen entscheiden zu können, wird auf einmal von Angstgefühlen überfallen. Gerade jetzt wäre ein gemeinsames „Kraulen“ so wichtig und erleichternd.
Nach fünf Wochen haben wir die Erlaubnis erhalten - als Besitzer - das eigene Pferd, mit besonderer Erlaubnis für Tierschutz und Tierpflege, einmal für eine Stunde sehen zu dürfen. Das fühlt sich an wie ein Besuch im Gefängnis. Alle Besitzer wollten natürlich sofort zum ihrem Pferd, aber es durften nur zwei Besitzer pro Tag zu einer festgelegten Uhrzeit zum Reitstall und dies nur mit allen Schutzmaßnahmen wie Maske und Schutzhandschuhe. Nach der Lehre des Vertrauens mussten wir nun lernen Geduld zu haben, denn wir konnten nicht alle gleichzeitig zu unserem Pferd und dies löste wiederum so manche schlechte Laune in dem einem oder anderen aus.
Ich durfte letzten Samstag zu ihr und nach fünf Wochen war war die Umarmung zwischen uns beiden so innig wie nie zuvor und weckte so ein starkes Lebensgefühl. Carta Bianca war zwar am Anfang sehr vom Geruch der Schutzhandschuhe gestört, aber mit ein paar Karotten haben wir dies schnell überwunden. Ich habe mir die Maske unter der Nase gezogen, damit ich ihren Duft „volltanken“ konnte, denn der muss nun weitere diverse Wochen anhalten. Wir wissen nicht wie lange dies alles noch andauern wird. Manche konnten das eigene Pferd in dieser ganzen Zeit noch gar nicht sehen, und so empfinde ich diese kurze Zeit schon als Privileg.
Die Lehre ist eindeutig klar: VERTRAUEN und GEDULD bis wir unsere Liebeserklärungen wieder tag täglich FREI erleben dürfen… Nun die große Hoffnung, dass wir bald wieder auf dem Rücken unserer Pferde die Welt von oben betrachten können. Das würde bedeuten, dass alles vorbei ist und wir unser gemeinsames Leben mit unserem Pferd mit mehr Selbstbewusstsein angehen können… eine schwere Lebenslektion!
Liebe Grüße aus der Lombardei
Ciao Edith