Gedanken, die dem Reiter zu schaffen machen – und dem wahren Pferdefreund eher nicht so…
Tanja von Salzen-Märkert betreibt mit Ihrem Mann eine Pferdeschule in Rhade für mehr "Fairständnis zwischen Mensch und Pferd"

Häufig klingelt bei uns das Telefon oder Menschen stehen direkt ratsuchend vor unserer Tür – im Moment mehr denn je…In jedem Winter tauchen für viele Pferdehalter aufgrund der sich verändernden Verhältnisse Fragen auf, die geklärt werden müssen – doch noch nie war ein bestimmtes Thema so eindrücklich, wie im Herbst und Winter:

„Das ganze Jahr hat sich mein Pferd so gut entwickelt, und nun geht es nicht weiter…“ „Wir waren schon so gut, ich weiß gar nicht, was das Problem ist – mein Pferd verweigert sich total….“ „Eigentlich dachte ich, wir hätten eine gute Beziehung, aber im Moment dreht sich mein Pferd nur weg und meidet die Arbeit und mich…“ „Wir sind im Rückschritt: zwei vor, drei zurück…“ „Ich glaub, ich verkaufe….“ „Ich bring´s einfach zum Schlachter, wenn es jetzt nicht besser wird…“

All diese Sätze höre ich seit Anfang Oktober Tag für Tag und möchte mit diesem kleinen Schreiben erreichen, dass wir uns „erinnern“!

Ein Pferd ist ein Reittier – klar ;-) – von uns Menschen dazu gemacht. Aber was würde ein Pferd in der Natur jetzt tun? Gerade die sich entwickelnden Jungpferde (und für mich sind junge Pferde all die, die jünger oder weniger entwickelt sind, als ein 8jähriges Pferd in der Natur unter ganzheitlichen Bedingungen (manchmal erscheint sogar ein 15jähriges Pferd als „nicht vollständig entwickelt“, das noch nicht viele Lebenserfahrung gemacht hat, oder diese nicht verarbeiten konnte, oder immer wieder das Selbe erleben darf, kann oder reizverarmend muss)).

Die Pferde stellen sich jetzt auf den Winter ein, behalten ihre Reserven für sich, spielen und toben draußen mit anderen Jungpferden, um sich warm zu halten, knabbern Tannen und Zweige wegen der Öle, suchen nach Wasser, suchen unter der Schneedecke nach Gräsern – sind einfach 24 Stunden mit ihrem Selbstmanagement beschäftigt. Verschiedene Naturvölker, die mit Pferden zu tun haben und noch nach ihrer alten Tradition leben, lassen ihre Pferde im Herbst nach ihren Möglichkeiten oder Modalitäten frei – zu einer Art RE-NATURALISIERUNG. Diese Pferde können selbst am besten entscheiden, was für sie gut ist und reifen an ihren Entscheidungen und den Konsequenzen daraus. Im Frühjahr beginnt ein neues Zusammenleben. Verspannungen und Anpassungen bleiben aus, Kraft und Reserven werden geschickt gemanagt, die Pferde können sich um sich selber kümmern und (!!!) SIND NICHT NOCH VERANTWORTLICH FÜR DAS
WOHLBEFINDEN IHRES MENSCHEN!

Leider stelle ich in dieser Zeit immer häufiger fest, WIE VIEL WIR WOLLEN. Wann sich ein Pferd wie verhalten soll, wie bewegen soll, was es lernen soll, wie es uns gegenübertreten soll, was es leisten soll
und vor allem, was es auch alles NICHT soll….und wir haben so oft aus den Augen verloren, was das Natur-Pferd in der Natur jetzt täte. Dazu kommt, dass die jungen Pferde, die das Reiten erst noch verinnerlichen
und lieben-lernen sollen, zu schnell auf ein Ziel hin gearbeitet werden. Meistens reiten wir diese Pferde in der Zeit ein, in der Wachstum – und vor allem Zähne bekommen – eine große Kraft raubende Anstrengung ist – und das nicht nur körperlich! Sowie die Zähne im Kiefer wachsen, gerät das Kiefergelenk aus der Balance (in ca. 85 % der Fälle) und damit verändert sich die gesamte Spannung in der Wirbelsäule und damit im gesamten System. Das kann selbst einem Pferd ganz schön auf die Nerven gehen: Balance wieder finden, Druck oder Schmerz managen, keine echte Lösung für die Spannung haben und evtl. mit allem, was dann zusätzlich noch kommt einfach überfordert sein.

Ich möchte im Namen eben dieser jungen und nicht so jungen Pferde jeden Leser und Pferdefreund bitten, einmal darüber nachzusinnen. In Ruhe. Ganz ehrlich mit sich selbst. Fair. Um dann einen Weg zu finden, der dem Individuum Pferd angepasst ist – und nicht nur dem Menschen. Die Indianer sagen, im Frühjahr beginnt das Lernen, im Sommer können wir „Nehmen“, im Herbst kommt alles dankend zur Ruhe – und im Winter sind wir es, die Geben müssen. So behalten beide ihr Gleichgewicht. Und Gleichgewicht ist die Voraussetzung für Gesundheit.

In diesem Sinne möchte ich allen Pferdefreunden ans Herz legen, Ruhe einkehren zu lassen. Es gibt ein paar Dinge, die getan werden sollten – und ein Vielfaches, was jetzt nicht so wichtig ist! Wie wäre es mit
verschnaufen – Sozialpflege, Beziehungsarbeit, Wohlfühlen, Partnerschaft, Wellness – aber auf pferdisch! Und die Leistung einfach mal links liegen zu lassen?

Meine Erfahrung zeigt, dass ich, wenn ich mit einem jungen Pferd im Herbst anfange, etwas verbissen zu üben, und dann den Winter durcharbeite, sich der Erfolg mit den ersten Frühlingsstrahlen einstellt. Ebenso wie bei denen, die dann erst anfangen.

Ich wünsche Mensch und Tier eine geruhsame Zeit in dieser schnellen Welt. Und vielleicht lernen wir im Winter mal anders herum: VON den Pferden. Kraftsparen, soziale Zeit und Entschleunigung? Sicher für
jeden Menschen ein schönes Ziel! Wenn wir auch dies begreifen, können uns unsere Pferde als wahre Kenner achten und akzeptieren! Dann überlassen sie uns die erste Position in der Herde gerne: für gute
Führung. 

Danke an diejenigen, die bis hier her gelesen haben – vielleicht ist ein Gedanke dabei, der Ihrem Tier einfach gut tut – und Ihnen hoffentlich auch! 

 Fotos: Tanja von Salzen

Bilder:

Was tun mit jungen Pferden im Winter?

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