rossfoto vs  181013 0461 1Im Pferdebereich gibt es ja bekannterweise auch außergewöhnliche Sparten. Eine davon möchten wir euch heute vorstellen. Reenactment.

Ich habe dazu ein Interview mit Michael Richter geführt. Michael übt dieses Hobby mit seinem Pferd seit 2008 aus.

KR: Michael, stellst Du Dich und Dein Pferd kurz vor?

Hi, meine Name ist Michael Richter, ich bin 34 Jahre alt und Geschäftsführer einer eigenen Raumausstatterfirma mit drei Standorten. Mein treuer Begleiter heisst Mahmud, ist 16 Jahre alt und ein Shagaya Araber Wallach. Mahmud kam 2008 zu mir.

KR: Was kann man sich unter Reenactment so vorstellen?

DSC05955Reenactment ist der Versuch, längst vergangene Geschichte lebendig und erlebbar zu machen. Es geht im Wesentlichen darum, sich mit allen Strapazen und Umständen der Vergangenheit auseinander zu setzen und zu versuchen so zu leben wie damals.

Es gibt verschiedene Sparten beim Reenactment. Mein Favorit ist die Zeit vor 200 Jahren. Die Kriege zur Zeit Napoleons. Hier bin ich in der Kavallerie. Wir versuchen möglichst Authentisch für ein Wochenende in die Vergangenheit abzutauchen, dazu gehört, das man sich kleidet wie vor 200 Jahren und auch so kocht wie damals. Gasherd, Elektronisches Licht, Handy, Facebook usw. ist für ein Wochenende komplett abgeschaltet und existiert nicht. Wir leben mit Feuer, Kerzen und Umgangsformen wie damals! Den einzigen Strom den wir haben, IMG 1536ist ab und zu der Akku der Weidezaun-Geräte für die Pferde (je nach Veranstaltung). Sogar die Paddok Abspannungen die wir dann verwenden sind aus Holz!

Der Vorteil und der Reiz bei der Kavallerie ist, dass wir für ein Wochenende nicht nur leben wie damals, sondern durch die Umstände des Minimalismus auch eine deutlich engere Bindung mit den Pferden aufbauen! Unsere Pferde stehen grundsätzlich bei uns am Zelt in Sichtweite! So das man am Abend nicht nur das Lagerfeuer als gemütliches Highlight hat, sondern in Kombination auch noch in direkter Sichtweite der Pferde ist. Die Arbeit mit dem Pferd bestimmt das komplette Wochenende, bei solch einer Veranstaltung! Wasser holen, Heu und Futter muss beschafft werden, und dann gibt es Lagerritte, Erkundungsritte und natürlich das Üben der Gefechtsdarstellung und die Darstellung selber natürlich auch! Die Pferde werden vom ersten Tag der Ankunft bis zum Gefecht auf das Gelände und die Umstände vorbereitet. DSC06069Es gibt eine Veranstaltung in den Niederlanden im schönen Historischen Ort Bourtange, da haben wir für unsere Einheit eine eigene kleine Insel, die vor der alten sternförmigen Feste vorgelagert liegt. Es gibt dort nur einen Zugang über eine Brücke, diesen verschließen wir mit Litze und die Pferde können durch den Wassergraben nicht mehr abhauen. So lassen wir unsere Pferdchen einfach frei zwischen unseren Reihen laufenes kann dann schon mal passieren das man des Nachts von einem Vierbeiner in den Po gekniffen wird oder eine Pferde Nase in den Ohren hat, aber auch das gehört dazu und macht „unser“ Reenactment aus!

KR: Sicher eine häufig gestellte Frage in diesem Zusammenhang…. Handelt es sich dabei nicht um Kriegsverherrlichung?

Nein auf keinen Fall!

Sicher geht es dabei auch darum die Gefechte der damaligen Zeit nachzustellen, diese waren in der Vergangenheit ein notwendiges Übel der Politik um Macht und Territoriale Besitzansprüche geltend zu machen, Gott sein dank ist das heute anders!

Stellt man die Geschichte nach, kommt man an den Kriegen nicht vorbei und gerade in unserer dargestellten Epoche der Napoleonik war der Krieg eine primär dominierende Angelegenheit die man nicht vergessen sollte! Es geht uns nicht darum den Krieg zu verherrlichen, sondern Ihn möglichst zu versuchen darzustellen wie er war, ein Grausames Aufeinandertreffen zweier oder mehrerer Parteien. Das darf sich nie wiederholen! Für mich als Reiter ist das Hobby noch mal etwas anders, weil für mich die Arbeit mit dem Pferd im Vordergrund steht! Es gehört schon sehr viel Training, Übung und auch sehr viel Vertrauen von Seiten des Pferdes dazu, sich auf eine solche Gefechtssituation einzulassen. Es ist für Ross und Reiter eine ganz besondere Erfahrung auf schießende Geschütze und Infanterie Linien in Attacke zu zu reiten! im GefechtDas erfordert viel Training und Vertrauen auf beiden Seiten!

Wichtig ist in diesem Punkt auch, dass wir bei diesem Hobby einiges für die Völkerverständigung tun, nicht nur das wir nach dem Gefecht mit den Gegnern von vorher am Feuer lachen und uns Geschichten erzählen, es sind nicht nur Deutsche bei den Veranstaltungen, die Teilnehmer und Darsteller kommen aus ganz Europa, so sitzen Russen neben Franzosen und Belgier neben Iren oder Engländer neben Ungarndas Hobby verbindet und schafft grenzüberschreitende Freundschaften!

KR: Wie bist Du zu diesem Hobby gekommen?

Durch meinen Schwiegervater, er hat schon viel eher mit der Reiterei begonnen und suchte neben dem Western-Reiten noch andere Herausforderungen und Möglichkeiten mit dem Pferd zu arbeiten und Erfahrungen zu sammeln! Ich habe mich dann 2007 angeschlossen. Erst bei der 1erst Virginia Cavalry (Civil War 1861 - 1865) hier geht es mehr um Waldritte, anschleichen, Linien stören und als Cavalry Nadelstiche setzenist noch mal wieder mit anderen Herausforderungen gespickt, dann sind wir zusätzlich zu den Elb-national Husaren gegangen (Napoleonik - Befreiungskriege 1813 bis 1815), wobei ich dann nach dem Ausstieg des Schwiegervaters auch hängen geblieben bin!

KR: Wie passt das Pferd in die ganze Geschichte?

Das Pferd war schon immer im zivilen Leben und in der Kriegsführung ein wichtiger Aspekt!

GroteFoto-VDUVIWSCEine Kavallerie ohne Pferde ist wie eine Kanone ohne Rohrda fehlt was! Heute gibt es Panzer und Autos früher waren das die Pferde! Ich liebe die Herausforderung, das normaleReiten im Stall oder im Gelände war mir zu langweilig und so kam dann eins zum anderen!

KR: Werden echte Waffen - Kanonen / Gewehre / Säbel benutzt?

Ja!

Ich habe z.B. für den Amerikanischen Bürgerkrieg zwei Revolver im Holster und eine Sharps Kavallerie Karabiner am Sattel, bei der Napoleonik arbeitenwir mit echten Säbeln (Blücher Säbel) die allerdings abgeschliffen und stumpf gemacht sind. Ich habe, und da bin ich besonders stolz drauf, einen original französischen Reiter Karabiner von 1814, den mir ein Restaurator aus Berlin wieder in den neu Zustand gebracht hat am Sattel mit einem Bandolier und Karabiner am Körper befestigt, bei mir!

richterDie Kanonen und Karabiner der Artillerie und Infanterie sind ebenfalls echt!

Alle Träger oder Nutzer dieser Waffen haben eine besondere staatliche Tauglichkeit erworben, einen so genannten Schwarzpulver oder Böller Schein, auch Vorderlader Schein genannt. Die Gewehre werden wie früher mit Schwarzpulver gefüllt und dann leer ohne Kugel, aber verdichtet abgefeuert. Es handelt sich um so genannte Steinschloss Gewehre, wie sie damals auch angewandt wurden. Alle Waffen haben einen staatlichen Beschuss Stempel, ohne diesen dürfen sie nicht genutzt werden.

Es stellt schon eine besondere Herausforderung dar, ein Vorderlader-Gewehr vom Pferd aus zu laden. Patronen wie heute gab es damals noch nicht, das Pulver musste von Hand in den Lauf gegossen und verdichtet werden    

 

KR: Wie werden die Pferde geschützt?

Es gibt sehr strenge Sicherheitsregularien. Wer dagegen Verstößt wird sofort des Geländes verwiesen! Da gibt es auch keine Diskussion, jeder weiss das. Zudem gibt es spezielle Trainings. So dürfen wir z.B. nicht mit den Säbeln von oben herab auf Infanteristen einschlagen. Ein Berühren der Bajonette ist nur unter Rücksprache erlaubt, die Bajonette müssen so hoch gehalten werden, das Pferde nicht in sie herein laufen und sich verletzen können. Kanonen müssen einen Sicherheitsabstand von mindestens 30m vom Pferd haben ehe diese abgefeuert werden und so weiteres gibt unzählige Regeln und Absicherungen!  

KR: Werden die Pferde bei der ganzen Knallerei sediert?

Nein!!!!!!

Ganz wichtig! Uns ist die Arbeit mit dem Pferd wichtig! Das Pferd muss die ganze Sache mit Freude und freiwillig mitmachen! Ich habe mit Mahmud bestimmt 3 Jahre gebraucht bis der soweit war! Es haben schon mal Leute versucht mit sedierten Pferden, die sind aber reiterlich nicht mehr bei uns. So etwas geht garnicht und ist auch total verpönt, das hat bei uns nichts zu suchen!

KR: Wie kann man im Vorfeld dafür trainieren?

Da man ja im öffentlichen Raum unter Umständen Schwierigkeiten beim Tragen einer Waffe bekommt, empfehle ich z.B. Luftballons, die quietschen und knallen toll! Wichtig ist der Überraschungseffekt, das Pferd darf es im Vorfeld nicht mitbekommen das es gleich knallt!

Dann, jede ungewöhnliche Situation mitnehmen die kommt. Wir haben z.B. einen Truppenübungsplatz in unserer Nähe. Rollende Panzer machen unheimlich Lärm, genau das richtige! Böller von Silvester bei halb trainierten Pferden in der Nähe explodieren lassen, trainiert ungemein. Man muss das Pferd kreativ immer wieder in unbekannte Situationen bringen die dem Hobby nah sind. Was man dann speziell aber auch machen kann, ist z.B. das Gefechtstraining mit dem Säbel! Das kann man auf jedem Reitplatz machen. Einfach sich noch jemanden suchen der dem Hobby verfallen ist und immer wieder Säbelkämpfe machen. Wichtig ist dabei mit den Beinen zu arbeiten. Die Begrenzungen im richtigen Moment ist wichtig, das der Gegner sich nicht hinter einem bringen kann um in den Rücken zu schlageneinfach mal ausprobieren, ist super spannend! Und dann zu guter Letzt, learning by doing! Auf Veranstaltungen fahren, sich im Hintergrund aufhalten und das Pferd immer wieder an die Knallerei heran führen, aber immer die Möglichkeit offen halten, auch wieder zwei Schritte zurück zu gehen! Wichtig, das Pferd muss freiwillig mitkommen! Immer nur so weit mit an die Knallerei herannehmen wie das Pferd es möchte oder man es positiv motivieren kann! Lieber mal zwei Schritte zurück machen als einen zuviel nach vorne! Ihr werdet merken, wenn die einmal verstanden haben, das es nur knallt aber sonst nicht passiert, läuft das wie von lebst. Mahmud ist süchtig nach abgefeuerten Kanonender steckt nach dem Gefecht gerne mal die Nase in ein Kanonen Rohr und schnuffelt ausgiebig daran! Einfach lassen! Zeigen dass das nichts schlimmes ist! Es ist wie bei jedem Pferdetraining: Coolness und Ruhe und Genügsamkeit zahlen sich irgendwann aus!

Und der weitere Vorteil: die ganze sehr spezielle Arbeit baut wahnsinnig viel Vertrauen auf! Ich reite mit Mahmud nach einem Gefecht gerne mal eine Bierbude an und bestelle mir natürlich vom Pferd aus ein kühles Blondes, dann geht´s zurück zu den Kameraden!

Es gibt kaum ein intensiveres Arbeiten mit dem Pferd als dieses Hobby!

Aber dennoch Vorsicht, nicht jedes Pferd ist dafür gemacht, panik-Pferde oder Stress-Pferde: Finger weg!

KR: Wie läuft ein Tag bei einem Treffen so ab?

Der Tagesablauf ist dem Programm zugeordnet! Meistens geht es so:

6.00 Uhr Aufstehen, Wasserholen aus Flüssen oder Bächen, Pferdefüttern, 6.30 Uhr Roll Call: Anwesenheitskontrolle und Zeltkontrolle, ob auch alles authentisch ist! Dann endlich Kaffeetrinken (ist auch eine Kunst ohne Filtertüten :-) es gibt da einen Trick, Kaffee in den Zinn Becher, heißes Wasser drauf, kurz warten und dann kaltes Wasser zum Abschrecken drüber, der Kaffee Satz setzt sich unten ab und man kann trinken) und sich den Rotwein oder das Bier vom Vorabend nochmal überdenken, dann selber frühstückengegen 10.00 Uhr ist in der Regel Offiziersbesprechung bei denen das weitere Vorgehen am Tag besprochen wird! Am Vormittag ist in der Regel noch die Schwarzpulverausgabe für Waffenscheinbesitzer! Dann Mittagessen am Feuer kochen, Mittag essen.

IMG 1637Nach dem Mittag geht es dann rund: Putzen, Satteln und auf zu Paraden, Ausritten, Gelände-Trainings, Gefechtstrainings. Entweder nach eigenem Ermessen oder nach Offiziersorder in der Gruppeoder direkt zum Gefecht! Nach getaner Arbeit von Mensch und Tier geht´s dann ans Feuer zum gemütlichen Ausklang, Abendessen und das Erlebte besprechen! Evtl. andere Freunde in anderen Lagern besuchenda ist immer was los, sind meist mehrere hundert Darsteller aller Waffengattungen, man kennt sich mit den Jahren untereinander! Es ist immer sehr familiär! Zudem ist es Wichtig zu wissen, dass die Nachmittagsgegner vom Gefechtsfeld jetzt mit uns zusammen am Feuer sitzen!!! Fertig

KR: Wo kann man als Zuschauer so eine Veranstaltung besuchen?

Am besten gebe ich einige Internet Seiten als Link, es gibt sehr viele Veranstaltungen! Hier können sich interessierte erkundigen:

www.Bourtange.nl

www.Kavallerie.net

http://www.ucr-ev.de/

http://www.fecho.de/Elbhusaren/

www.leipzig1813.de

http://www.liebertwolkwitz-1813.de/

http://www.reenactorforum.waszmann.de/cgi-bin/yabb2/YaBB.pl

 

und viele viele mehr!

einfach mal weiter googeln

KR: Wie kann ein Interessierter sich einbringen?

Kommen, teilnehmen und sehen ob es was für Ross und Reiter ist! Kommt am besten erstmal ohne Pferd und seht euch das Geschehen an! Sprecht die Teilnehmen auf jeden Fall an! Da beisst keiner. Ihr werdet sehen, es gibt viele spannende Geschichten! Und jeder ist froh wenn er diese erzählen darf!

Aber.. wenn Ihr Spaß daran habt, das Hobby macht Süchtig und die Uniformen kosten auch ein Paar Euronen weil alle Teile handgefertigt sind! Es kann in der Regel aber erstmal eine Leih-Uniform gestellt werden! Nur nach und nach muss dann alles angeschafft werden, Zelt, Geschirr aus Holz, Besteck etcda gibt es einiges! Muss aber nicht alles auf einmal sein!

 

KR: An wen kann ich mich bei Interesse wenden?

am besten übe die vorangegangenen Internet Seiten mal Infos rein holen, sonst gerne per Mail auch an mich!

Der Kavallerie Verband ist da auch sehr hilfreich

www.Kavallerie.net

 

Viel Spaß bei dem Hobby, es gibt nicht intensiveres für Ross und Reiter!

 

KR: Danke Michael für die tollen Infos!

Werbung