Die Nachrichten überschlagen sich derzeit, laufend gibt es neue Vorgaben aber auch jede Menge mehr oder weniger hilfreiche Informationen die vor allem in den Sozialen Medien kursieren. Die einen zweifeln, dass die Lage wirklich so ernst ist, halten die Maßnahmen für übertrieben oder sogar für eine perfide Masche. Andere reden vom Krieg gegen den Virus und einer Naturkatastrophe für die ganze Welt. Neben den von den Behörden verhängten Auflagen und Verboten wird wild darüber diskutiert wie diese im Einzelnen zu verstehen sind und was in dieser Zeit moralisch erlaubt oder zu erwarten ist.

Angst, Verunsicherung bis hin zu Panik ist überall spürbar. Auch ich kann mich davon nicht frei machen. Auch ich habe auf so manche Fragen noch keine Antworten. Und andere Fragen kann ich nur für mich beantworten, keineswegs für Andere. Genau das geschieht jedoch gerade vielerorts. So kann man in den Sozialen Medien lesen, dass es unverantwortlich sei derzeit noch zu reiten, dass es rücksichtslos sei die neu gewonnene Freizeit mit den Pferden zu genießen und das auch noch öffentlich mitzuteilen. Das wir Pferdeleute aus Solidarität auch auf unser Hobby verzichten und es auf die Grundversorgung reduzieren sollten. Außerdem sei es verantwortungslos unserem tendenziell unfallträchtigen Hobby nachzugehen und dabei zu riskieren ein Krankenhausbett zu blockieren. Ausreiten während andere in ihren Wohnungen festsitzen sei egoistisch und rücksichtslos. Andererseits sollen Behörden mit vorformulierten Schreiben auf die besondere Situation der Pferdehalter aufmerksam gemacht und Sonderregelungen durchgesetzt werden. Formulare zur Versorgung der Pferde quasi als Passierschein, Sondererlaubnis werden vorsorglich angeboten.

Doch was ist denn nun richtig? Was notwendig? Wie sollte ich mich verhalten?

Aus rechtlicher Sicht sind diese Fragen schnell zu beantworten: Individualsport, insbesondere im Freien ist ausdrücklich erlaubt. Die Versorgung der Tiere inklusive der artgerechten Bewegung ebenfalls. (Stand 23.03.2020)

Darüber hinaus möchte ich keine direkte Antwort auf diese Fragen geben. Sondern auf ein paar Dinge aufmerksam machen die mir einerseits ein besonderes Anliegen sind und andererseits auf Grund meines beruflichen Hintergrundes auffallen.

Ich denke zunächst einmal, dass all die Äußerungen darüber was aktuell moralisch erlaubt und was nicht und auch die scheinbaren Unterstützungsangebote, Versuche von einzelnen und auch Gruppen, Verbänden sind, einen Umgang mit dieser wahrscheinlich fast alle überfordernden Situation zu finden. Auf der Suche nach vermeintlichen Sicherheiten und Orientierung wird versucht einen Konsens darüber zu finden was falsch und was richtig ist. Dabei kommt es jedoch automatisch und zum Teil sicherlich unbeabsichtigt zu Ausgrenzung und zu Vorwürfen anders Denkenden gegenüber. Gerade darin scheinen wir in der Pferdeszene besonders gut zu sein. Vielleicht weil es immer noch keiner geschafft hat ein Pferd direkt zu fragen wie es was findet und wie es ihm mit uns Menschen ergeht, oder noch eher weil Pferde wie wir Menschen Individuen sind für die unterschiedliche Dinge gut und hilfreich sind. Was bedeutet, dass es den einen richtigen Weg nicht gibt!

In diesen Tagen lese und höre ich an allen Ecken die Forderungen nach Verantwortung, Rücksichtnahme und Solidarität. Mit dem Wissen, dass es den richtigen Weg nicht gibt gehört für mich dazu auch Respekt, Toleranz und Verständnis. Ich wünsche mir für unseren Verband, und die Welt der Pferdemenschen aber auch für die Menschen ohne Pferde, das wir achtsam miteinander umgehen, die unterschiedlichen Umgangsweisen mit der aktuellen Situation respektieren und gleichzeitig entschlossen auftreten wo ein Mensch verantwortungslos andere Menschen oder Tiere in Gefahr bringt.

Ich denke, dass es aktuell genauso richtig sein kann komplett aufs Reiten oder Ausreiten zu verzichten, wie weiterhin mit einer gewissen Umsicht auszureiten oder sein Pferd auf dem Platz zu bewegen. Genauso kann es bei einem anderen unverantwortlich und rücksichtslos sein. Es geht aus meiner Sicht darum verantwortungsbewusst abzuwägen wie hoch das Risiko im Einzelfall für mich und andere ist und natürlich auch was mein Verhalten im Umfeld auslösen kann. Und dann eine für mich gute Entscheidung zu treffen und gleichzeitig wertzuschätzen, dass andere in diesem Prozess zu einer anderen Entscheidung kommen die genauso verantwortungsvoll getroffen wurde.

Dabei ist für mich auch ein wichtiger Aspekt, dass die Zeiten beim Pferd für viele derzeit eine wichtige Stabilisierung und ein „zur Ruhe kommen“ ermöglichen. Sowohl die Entspannung und Bewegung als auch die Nähe zu einem geliebten Lebewesen kann dabei derzeit einen wichtigen Beitrag zur eigenen Gesunderhaltung darstellen. So wurde in mehreren Studien festgestellt, dass Körperkontakt zur Stärkung des Immunsystems und zum allgemeinen Wohlbefinden beiträgt. Das Umarmen ist im zwischenmenschlichen Bereich derzeit unangebracht, im Kontakt mit unseren Pferden jedoch unproblematisch. Insbesondere das „getragen werden“ welches wir beim Reiten erleben können kann dabei eine sehr positive Wirkung haben. Und diese Zeiten zu genießen bedeutet keineswegs die Not und Belastung die derzeit für andere Menschen da ist nicht ernst zu nehmen. Wir Menschen können uns an dem Schönen mit unseren Pferden freuen und dankbar für dieses Privileg sein mit diesen wunderbaren Tieren leben zu können und gleichzeitig die Belastung und Not anderer Menschen wahrnehmen und entsprechend mitfühlen und helfen. Die Entspannung und Ablenkung durch die Zeit bei den Tieren kann sogar wesentlich dazu beitragen auch längerfristig belastbar Hilfe leisten zu können.  

Genauso verantwortungsbewusst sollten wir jedoch auch mit offensichtlichen Rücksichtslosigkeiten, Egoismus und Verantwortungslosigkeit umgehen. Konkret: Wenn ich heute auf eine Gruppe treffe die gemütlich beim Kaffee im Reiterstübchen zusammen hockt, sich irgendwo Reitschüler auf dem Hof tummeln oder sich jemand gerade jetzt mit einem Pferd ins Gelände begibt welches noch nicht geländesicher und ausreichend ausgebildet ist, vielleicht sogar für seine Neigung als Durchgänger bekannt ist, sollten wir im Interesse aller entschlossen einschreiten.

Durch alle hier aufgeführten Fragen und Gedanken zieht sich eine Grundidee. Es geht darum unseren Fragen und unseren Mitmenschen mit einer anderen Grundhaltung zu begegnen. Eine Grundhaltung aus dem Bewusstsein, dass es nicht das einzig Richtige oder Falsche gibt. Wenn es uns gelingen sollte diese Vielfalt als Bereicherung zu verstehen und als Anregung die eigenen Entscheidungen immer wieder zu hinterfragen und evtl. auch anzupassen, wird uns dies, so meine feste Überzeugung deutlich weiter helfen. Aus dieser Grundhaltung heraus können wir uns dabei unterstützen verantwortliche Entscheidungen zu treffen und zum Wohle unserer Mitmenschen und der uns anvertrauten Tieren zu handeln.

Vielleicht kann diese Krise so zu einer Chance werden, einen anderen Umgang miteinander zu erlernen. In diesem Sinne wünsche ich euch, dass ihr für euch gute Entscheidungen trefft und dabei offen und interessiert bleibt für die Entscheidungen anderer. Übrigens würde dadurch automatisch eine höhere Solidarität entstehen!!

Lasst uns gemeinsam die Chance ergreifen und aus dieser Krise lernen wie wir den zwischenmenschlichen Umgang in der Pferdewelt ein wenig besser machen können! Lasst uns uns gegenseitig dabei unterstützen zu guten Entscheidungen zu kommen und auch ganz konkret praktische Hilfe anbieten wo sie gebraucht wird. Aber auch nicht davor zurückschrecken selbst um Hilfe zu bitten wenn es schwierig werden sollte. Die VFD ist eine starke Gemeinschaft! – lasst es uns gerade jetzt leben!!

Mit den besten Wünschen

Tanja Michel

1.Vorsitzende VFD Ostfriesland e.V.

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