Wanderritt von Kolberg nach Küstrin- ein Reisebericht von VFD Wanderrittführerin Marion Sieg

Wann ist ein Pferd alt? Diese Frage stellten wir uns in diesem Winter des Öfteren, als
ich unseren Urlaubswanderritt von Kolberg nach Küstrin plante. Da wir in den vorigen
Jahren stets sämtliches Gepäck am Pferd mitgeführt hatten, beschlossen wir in
diesem Jahr mit einem Trosser zu reisen. Unser Familienauto hatte gerade Ende
April den TÜV bekommen und sollte, beladen mit Müslisäcken, Regendecken und
Kleidung als Fahrzeug herhalten. Der schwierigste Part bestand freilich darin eine
geeignete Person als Trosser zu finden. Dieser sollte nicht nur mindestens 2 Wochen
Zeit haben, sondern obendrein neben den Besitz eines Führerscheins auch noch
möglichst gern Autofahren und, wenn auch nicht unbedingt Polnisch sprechen, so
doch in jedem Falle Interesse für das Land mitbringen. Im Frühjahr starteten wir
einen netten Aufruf unter dem Motto: „Die Entdeckung der Langsamkeit“ über den
VFD- Verteiler. Wir wunderten uns, dass sich sofort jemand meldete. Bereits am
nächsten Wochenende lernten wir Henrik kennen: aufgeschlossen, rüstig und
sportlich, um die Ende 60- wie es schien, als Bub in Polen aufgewachsen und daher
dieser Sprache mächtig, lange Zeit selbst geritten in einer Gegend, die ich aus
früheren Jugend- und Reiterjahren kannte. Wir schwelgten bald in Erinnerungen an
das schöne alte Jagdschloss in Glienicke und die wildreiche Schorfheide, den
Summter See bei Mühlenbeck und die Umgebung dort. Es passte wie die Faust aufs
Auge.
Die Wochen gingen ins Land. Wir trainierten fleißig die Pferde. Die Organisation des
Naturparkritts Ende Mai 2011 nahm all meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Hennrik
sagte uns die Reise ab, der Rücken. Macht nichts dachte ich sind ja noch 4 Wochen
Zeit. Bisher hatte ich mich weder um einen genaueren Routenverlauf noch um
Quartiere unserer Reise gekümmert. Auch jetzt legte ich mein Augenmerk auf einen
neuen Trosser und fragte diesen und jenen. Aber niemand erklärte sich bereit, eine
Urlaubsreise bezahlt zu bekommen, mal waren 2 Wochen zu lang, mal das Land zu
fremd, mal das Autofahren zu ungewohnt. Als sich eine Woche vor Reisebeginn
endlich meine Freundin Susi bereiterklärte und alle ihre Termine verlegt hatte um uns
begleiten zu können, ging das Auto kaputt und mein Chef eröffnete mir, dass ich
keinen neuen Arbeitsvertrag bekäme. Nun schrieb ich wie eine Verrückte
Bewerbungen und telefonierte mir die Finger wund, um Quartiere in Polen zu finden.
Wäre es mit dem Auto und Zelt und allem drum und dran im Kofferraum kein
Problem gewesen, für die Pferde findet sich immer ein Plätzchen, sah nun die
Situation ohne Begleitfahrzeug ganz anders aus. Ich hatte aufs falsche Pferd
gesetzt- bis zu letzt hatte ich gehofft, dass ich jemanden finden würde. Zu allem
Überfluss hatte sich auf unsere Post die Familie, wo wir unsere erste Urlaubswoche
an der Ostsee verbringen wollten, noch nicht gemeldet und sie waren auch im
Internet nicht zu finden. Die Telefonnummer hatte sich geändert und nun waren sie
unerreichbar für uns. Jemand verklickerte uns, dass es in Polen nicht so wie in
Deutschland ein zentrales Telefonbuch gäbe, sondern ca. 30 Anbieter mit
unterschiedlichsten Eintragungen. Nach langem Suchen war 2 Tage vor der Abfahrt
in Loupenica, 10 km entfernt vom Stall in Melechowo, ein Zimmer und zwei
Fahrräder, wie sollten wir sonst zu den Pferden kommen, gebucht. Ein Quartier mit
Pferd war so kurzfristig natürlich nicht mehr ausfindig zu machen gewesen. Die
einzig verlässlichen Anhaltspunkte zu dieser Zeit war Familie Nallerweg, die den
Transport der Pferde an die Ostsee übernahm. Als es endlich soweit war, lagen die
Nerven blank und ich war so aufgeregt, als würden die Pferde das erste Mal mit dem
Hänger fahren. Auf der Fahrt beruhigte ich mich allmählich. Trotzdem war mir noch
unbehaglich zumute, wie das Quartier für uns in Loupenica wohl wäre und sollte es
schlecht sein, ob wir wohl noch ein anders fänden, denn die Ostseemeile schien
ziemlich ausgebucht zu sein. Die Pferde erkannten den Stall sofort wieder und
fühlten sich gleich zu Hause. Allerdings war sofort spürbar, dass der Service des
Stalls auch nachgelassen hatte, denn unsere Boxen waren noch von den
Vorgängern nicht gereinigt worden. So schön wie das ganze Ambiente war, so
liebevoll wir auch von Agnieszka betreut wurden, das täuschte nicht darüber hinweg,
dass sich die Qualität des Futters ebenfalls verschlechtert hatte. Jeden zweiten Tag
gab es angeschimmelte Heurollen, in den ersten Tagen gab es am Wochenende
keinen Quetschhafer, weil der Mann, der die Maschine bedienen konnte, nicht da
war. Ärgerlich für uns, da wir das Futter einweichen mussten (meistens fraßen die
Hunde einen Großteil davon weg, was wir erst hinterher bemerkten) und, um so
schlimmer für unseren alten Lado, der mit 26 Jahren nun nicht mehr die besten
Zähne hat. Wir begannen gutes Heu für Jasko wegen seiner chronischen Bronchitis
zu horten und stellten dieses in unserem faltbaren Heu- Einweich- Behälter in einer
Ecke beiseite. Als das eines schönen Tages verschwunden war, schauten wir uns
nach einem anderen Quartier für die Pferde um. Favorit war der Mann, welcher einen
Fahrradverleih direkt an der Küste betrieb und der eine kleine Wiese und eine Ziege
besaß. Doch nach realistischer Überlegung, dass die Pferde das Gras in einer Nacht
abgefressen hätten und wir dann wieder auf Heu angewiesen sein würden,
verwarfen wir diese Idee. Zum Glück gab es am nächsten Tag wieder eine gute Rolle
Heu. Unsere Gastgeber in der Ferienwohnung waren zunächst sehr zurückhaltend
uns gegenüber. Jetzt kommen wieder die Deutschen mit ihren Ansprüchen. Monika
wollte es sich offen halten ggf. in ein anderes Ferienobjekt zu ziehen und verkündete
unserer Vermieterin, dass wir erst die Fahrräder und den Weg zum Stall testen
müssten. Die Route an der Küste entlang war der Hauptstraße in jedem Falle vor zu
ziehen, denn ohne Radweg drohte stets Gefahr bei den hohen Geschwindigkeiten
der Autofahrer. Immerhin brauchten wir durchschnittlich 40 min für die 10 km
aufgrund der teilweise schlechten Straßenverhältnisse. Dafür säumten unseren Weg
ein halb verwildertes Grundstück mit prachtvollen Johannes- und Stachelbeeren,
sowie kleinen saftigen Sauerkirschen und den ersten reifen Stachelbeeren, wo wir
nun immer auf dem Hinweg anhielten, um zu naschen. Da wir jeden Abend erst im
Dunkelwerden in unsere Ferienwohnung zurückfuhren, bastelte ich unsere
Taschenlampen an die Fahrräder, nicht, dass uns die polnische Polizei, welche
regelmäßig in Ustronie Morskie patrollierte, um das Halligalli der Strandstraßenpartys
zu überwachen, uns jemals angehalten hätte. Wir wollten gesehen werden, denn
ausgerechnet der Abschnitt unseres Weges, welcher durch den dichten Küstenwald
führte, bestand aus sagenhaft holprigen, alten Betonplatten.
Die ersten 2 Nächte hatten wir furchtbar unbequem geschlafen, weil uns die
Drahtspiralen der Matratzen in den Rücken piekten. Monika ordnete eine
Matratzentauschaktion an, sonst würde sie nicht länger bleiben wollen. Nach einem
Liegetest im ganzen Haus hatte Monika sich für eine der Matratzen entschieden und
wir schleppten sie mühsam in unser Zimmer, denn durch den festen Holzrahmen
waren sie sehr schwer. Ich nahm dann Monikas Matratze, denn alle anderen waren
nicht besser. Als unsere Vermieterin feststellte, dass wir stets unsere Schuhe an der
Haustüre auszogen, um wenig Dreck in den Treppenflur zu tragen und ohnehin jeden
Tag unterwegs waren, wurde sie etwas freundlicher. Das erste richtige Lächeln
erhielten wir, als wir ihre Kücheneinrichtung lobten. Wir bereiteten uns alle
Mahlzeiten selbst zu, aufgrund Monikas Glutenallergie die beste Variante und da ist
eine gut sortierte Küche wichtig.
Da man erst ab 19 Uhr abends am Strand reiten durfte (oder morgens von 6 bis 9
Uhr), blieb uns der liebe lange Tag für andere Aktivitäten. Doch großartig zum
Ausspannen kamen wir nicht, denn am ersten Tag hatten wir entdeckt, dass es im
benachbarten Küstenort Ustronie Morskie, eine Touristen- Information gab. Die
jungen Frauen dort freuten sich über meine Versuche polnisch zu sprechen, konnten
sich jedoch wesentlich besser im Deutschen, als ich in ihrer Sprache, ausdrücken.
Daher standen uns während der nächsten Tage, wenn ich mit meinem Polnisch am
Telefon nicht weiterkam, die überaus freundlichen und hilfsbereiten Fachkräfte auf
unserer Suche nach Quartieren für unseren Wanderritt zur Verfügung. Mit großer
Geduld wurden für unsere Route nach Küstrin passende Quartiere gefunden, wenn
es auch manchmal schwierig war und ich mit meiner Karte am Tresen stehend,
immer neue Orte vorschlagen musste, die wir noch nicht durchprobiert hatten im
Internet.
Unsere Reitausflüge zum Strand waren natürlich das Allerschönste und
Spannendste. Gegen 16 Uhr trafen wir täglich am Stall ein, um unsere Boxen zu
säubern und die Pferde zu putzen, damit wir gegen 17 Uhr zum Strand aufbrechen
konnten. Der Weg führte uns zunächst an den Koppeln entlang zum Wiesengrund.
Durch den altehrwürdigen Wald, in dem es an die 600 Jahre alte Eichen zu
bewundern gibt, gelangten wir über einen Schleichweg auf der Brache zum
Bahnübergang und unmittelbar danach zur Hauptstraße. Dahinter beginnt ein
Sumpfgebiet, welches wir auf einer alten Betonstraße durchquerten. Direkt vorm
Küstenwald müssen wir noch einen Flugplatz im hohen Gras umrunden, bis ein
Wiesenweg uns fast bis an den Strand bringt. Nach diesem einstündigen Weg
überwiegend im Schritt mit etwas Trab sind die Pferde gut aufgewärmt und wir
können sofort losgaloppieren am Strand. Mit am Schönsten war, dass uns alle
Strandspaziergänger stets wohlwollend begrüßten, weil Pferde hier selten zu sehen
sind und eine Ausnahme darstellen. Wir werden fotografiert, mit den Kindern, mit der
Ehefrau am Pferd stehend, im Hintergrund der Sonnenuntergang und finden immer
jemanden, der von uns Bilder oder ein Video machte. Der Sommer brachte, wie für
uns geschaffen, milde 18° mit leichtem Wind. Das R eiten war bei diesen
C
Temperaturen ein Genuss. Im Wald gab es so gut wie keine Mücken, obwohl der
schwere Boden unter den Buchen vor Wasser nur so strotzte. Am Strand wehte stets
ein Lüftchen, so, dass die Pferde nicht ins Schwitzen kamen und keinen Durst litten.
Bereits am ersten Strandtag wurden wir von Cäsar, dem Stallhund, einer Mischung
aus Wolfshund und Windhund, mit außerordentlich ausgeprägtem Jagdtrieb,
begleitet. Stets stöberte er im Forst Wild auf. So bekamen wir Fuchs, Feldhase,
Wildschwein und Rehe zu sehen. Unermütlich war der Hund am Laufen und fand uns
nach längeren Verfolgungsjagden stets wieder, auch, wenn wir bereits die große
Bundesstraße überquert hatten. Polnische Hunde sind diesbezüglich völlig
ausgebufft und wissen um die Gefahren der Straße. Die einzigen Male, dass Cäsar
stille stand, waren die Momente an der Fahrbahn, um einen geeigneten Augenblick
zum Überqueren der Straße abzuwarten. Sonst war der Hund einfach nicht zu
bändigen in seiner Bewegungsfreude. Etlichen Besuchern am Strand musste ich
erklären: „Nije mamm pijes!“ (Das ist nicht unser Hund); „Aale nije problemm, nije
boyiesche!“ (Es ist kein Problem, keine Angst) Zum Glück war Cäsar ein sehr
liebenswürdiger Hund und erschreckte die Leute zunächst nur durch seine Größe,
indem er zielstrebig auf die Stranddecke zusteuerte, um dann kurz vorher, wenn ich
rief, doch noch Richtung Wasser abzubiegen. Als wir am 4. Tag aufbrachen, hatten
wir plötzlich Begleitung von einem zweiten Hund, einer schwarzen Labradorhündin,
die allerdings wesentlich langsamer, als ihr heller Freund Cäsar war. Nun hatten wir
zwei Fellbündel, die vor unseren galoppierenden Pferden her, über den Strand
jagten. In den Schrittpausen balgten sie sich liebevoll im Sand oder stürzten sich zum
Abkühlen in die Wellen. Unsere Pferde lernten von den Hunden, dass das
Meereswasser keineswegs gefährlich ist, auch, wenn es in großen Wellen ständig
die Beine anzugreifen schien. Trotzdem mochten Lado und Jasko den nachgiebigen
Untergrund nicht, hatten es jedoch rasch raus, sich möglichst auf den nassen,
ebenen Metern zwischen Wasser und Sandwüste zu bewegen, weil es dort leichter
durch den Sand zu rennen ging. Welch eine Freude mit Wind im Haar und Salz auf
den Lippen die Kraft des Pferdes unter sich zu spüren! Mein Glück entlud sich, wenn
es so besonders tief zu spüren war, in lauten Jauchzern, die mein Jaskolie
anstachelten noch ein wenig schneller über den Strand zu sausen, Ladochen mit
Monika hinterdrein. Beschwingt und fröhlich, mit einem Lächeln auf unseren
Gesichtern ritten wir abends heimwärts, dankbar dafür, dass wir diese Tage erleben
durften. Als wir am letzten Tag zum Strand aufbrachen, sprach uns Agnieszka an, wo
wir heute hin reiten würden. „Natürlich zum Strand!“ antwortete Monika. Schon
wieder?“ fragte Agnieszka verwundert „Ihr könnt doch auch mal in den Wald reiten!“
Wir lachten beide und Monika meinte: „Dafür sind wir hierher gefahren, um am
Strand reiten zu können! Du kannst es jederzeit machen! Du hast das Meer vor der
Haustür!“ Ich ergänze: „In Deutschland darf man meistens in der Zeit von April bis
Oktober gar nicht mit dem Pferd ans Meer, verboten; oder man kann gerade mal von
K nach L reiten!“ Agnieszka schaut mich verständnislos an. Ich erkläre ihr, dass die
deutschen Strandabschnitte meist kilometerweise in Buchstaben aufgeteilt sind. „Das
haben wir nicht!“ sagt sie. „Eben!“ erwidere ich „Nun kannst Du uns besser
verstehen! Außerdem sind hier die Leute viel netter. Sie sind offen und freuen sich
mit uns!“ In Deutschland erkläre ich mich weiter war es uns oft passiert, dass wir
angemacht wurden: „Dürft ihr das überhaupt? Kackt nicht den Strand voll! Könnt ihr
nicht woanders hingehen?“ Agnieszka runzelt die Stirn und schlägt uns vor auf dem
Hinweg durch den Wald nach Sole Bagno zu reiten.
Dort würden ganz viele Wasservögel zu sehen sein und dann könnten wir auf dem
Rückweg am Strand entlang reiten. Bereits nach einer guten halben Stunde Schritt,
die Asphaltstraße führt schnurgeradeaus durch den Wald, bereue ich, dass wir auf
den Vorschlag eingegangen sind. Als wir nach über einer Stunde endlich fast am
anderen Waldende angekommen sind, verreiten wir uns promt und stehen vor den
Leitplanken an der Hauptstraße. Ich fluche: „Verdammter Mist! Jetzt ist der Übergang
wahrscheinlich so versteckt, dass wir den nicht finden!“ Inzwischen sind 1,5 Stunden
vorbei. Die Zeit drängt, wenn wir noch an den Strand wollen. Wir laufen den
Schotterweg zurück und biegen in den Wald auf einer ausgefahrenen Spur ab. Bald
haben die Pferde enorme Probleme auf dem schmierigen Lehmboden Halt zu finden.
Ich ärgere mich schon wieder, denke mir jedoch, wenn dieses Gemetzel
Forstfahrzeuge veranstaltet haben, muss die Spur auch irgendwohin führen. Bald
sehen wir in der Ferne durch den Hochwald eine Hütte. Dort endet der Weg. Was
nun? Die freie Fläche daneben entpuppt sich als wildromantischer See überwuchert
mit Seerosen. Am anderen Ufer ist ein Angler zu sehen. Erst als ich kurz vorm Tor zu
dem Grundstück stehe, entdecke ich, dass ein kleiner unscheinbarer Pfad um den
See herumführt. Bald wird der Weg breiter und mit Hilfe des Kompasses gelangen
wir auf nördlichen Kurs. Und, siehe da, vor uns taucht der Ort auf und wir können
sowohl über die Bahn, als auch über die Straße reiten. Am Sanatorium vorbei
gelangten wir auf einen parkähnlichen Weg. Den Wald hinter uns lassend, öffnet sich
uns der Blick einer weiten Sumpflandschaft, links und rechts von Wasser umgeben,
sehen wir tatsächlich jede Menge Wasservögel aus nächster Nähe. Welch ein
Panorama! Die Sumpflandschaft sieht so Surreal aus, als würde gleich eine Figur
aus „Der Herr der Ringe“ oder ein Krokodil erscheinen. Ein wenig unwohl ist mir
zwischen den vielen Menschen, die vom oder zum Strand gehend an uns
vorbeikommen. Sie begegnen uns mit heiterer Gelassenheit einer polnischen
Mentalität. Ich bin froh, dass die Pferde so abgehärtet sind und sämtliche
Schwimmreifen und Gummienten bewehrten Menschen mit absoluter Nervenstärke
brav an sich vorüber ziehen lassen, denn der Weg ist nur eine Wagenspur breit und
daher ist kaum Platz zum Ausweichen. Endlich sind wir am Strand angekommen und
können das Auf und Ab der Wellen und die salzige Luft genießen. Beim ersten Stück
Strand ist das Dünenland eingezäunt und lässt nur einen schmalen Sandstreifen für
die Urlauber übrig. Je weiter wir vom Ort fort reiten, desto wohler fühle ich mich. Die
Dünen gehen in eine sanfte Steilküste ohne Zaun über. Die Menschen lassen wir
hinter uns. Befreit atme ich auf. Die Pferde greifen weit im Galopp aus- es geht nach
Hause.
Für unseren ersten Wanderritt- Tag war alles bestens organisiert. Wir hatten einen
Sack Müsli für unser altes Pferd Lado gekauft, falls wir im Notfall kein geeignetes
Kraftfutter bekommen würden. Unsere alte Gastfamilie hatten wir, 5 Jahre später,
besucht. Die beiden Mädchen waren groß geworden und eines davon ritt in
Lulewiczki im Springsport, wo unser nächstes Quartier sein sollte. Auf diese Weise
war unser erster Gepäcktransport auch schon geklärt. Morgens standen wir sehr
zeitig auf, damit uns der Mann unserer Vermieterin zum Stall nach Malechowo fahren
konnte, da dieser um 7 Uhr mit seiner Arbeit in „Kollobdjegg“ (Kolberg) begann.
Warum wir bis 11 Uhr brauchten, um endlich loszureiten, lässt sich schwer sagen;
zum einen, weil die Routine de täglichen Reisens noch nicht so gut saß, zum
anderen: je länger man an einem Ort gewesen ist und die die Leute dort lieb
gewonnen hat, der Abschied um so schwerer fällt. Die Sonne schickte bereits
glühende Hitze zur Erde, als wir unseren Ritt durch das Hügelland, am Waldrand
entlang, über die Wiesen und Felder antraten. Durch den bisher feuchten Sommer
hatten sich tiefe Spurrinnen auf den Feldwegen gebildet und der lehmige Boden
verhinderte ein zügiges Vorrankommen. In den Senken stand das Wasser grün und
brackig. Torpedoartig attackierten uns Mücken und Bremsen in riesigen Schwärmen,
so sehr, dass Monika im nächsten Ort, in Stojkowo, den „Skljeppa“ (Laden) stürmte,
um Knoblauch zu kaufen, denn das aufgetragene Pferdespray schien überhaupt
nicht zu helfen. Mit dem Taschenmesser in Scheiben geschnitten, wurden die Pferde,
so gut es ging, mit dem Stinkemittel eingerieben, als uns die nächste Überraschung
erwartete. Links und rechts des Weges wucherte dermaßen viel Riesenbärklau, dass
fast kein Durchkommen war. Die Zügel kurz, die Pferde am Schenkel, dirigierten wir
uns durch das Dickicht, stets in Sorge vor den großen Blättern, die bei Berührung
schwere Verbrennungen hervorrufen. Ich erinnerte mich, dass wir dieses Dorf vor 5
Jahren schon einmal durchquert hatten, nur, dass damals diese gefährliche Pflanze
noch nicht dermaßen überhand genommen hatte, denn einfach nur abschlagen und
liegenlassen, wie es leider üblich ist, stellt keine wirksame Bekämpfung dar. Im
nächsten Wiesental stehen vereinzelt Kühe mit ihren Kälbchen. Obwohl Lado und
Jasko den Weg kennen, trotten sie ziemlich lustlos dahin. Als ich beschließe eine
Graspause zu machen, knabbern sie jedoch nur mäkelig am Gras herum. Die
Landschaft wird abwechslungsreicher: kleine Waldgebiete schmiegen sich an bunte
Wiesen, Alleen säumen kleine vereinzelte Felder. Uns bieten sich viele Wege an, die
auf der Karte nicht zu finden sind. Wir orientieren uns hauptsächlich mit dem
Kompass, bis wir die Straße genau an der gewünschten Stelle überqueren können,
um in ein größeres Waldgebiet, Warnie Bagno, zu gelangen. Hier war vor 5 Jahren
ein Plattenweg gebaut worden, der mittlerweile von einer Grasnarbe bewachsen
wieder gut bereitbar war. Nach einer Pause im kühlenden Schatten verließen wir bald
darauf den befestigten Weg und bogen in dem sumpfigen Waldgebiet in südöstliche
Richtung ab. Wir ritten durch ausgefahrene Kuhlen und Pfützen. Die Pferde schienen
jetzt langsam zu ahnen, wohin es gehen würde und zogen im Tempo an. Die schöne
alte Lindenallee, bevor wir Warnino erreichten, begeisterte uns wieder sehr. Aufgrund
der Hitze wählte ich nach dem Dorfdurchritt eine kürzere Strecke, als damals. Sie
führte uns zwar recht eintönig eine ellenlange Straße entlang, dafür hielt sie jedoch
ein kühlendes Gewölbe aus Blättern und Ästen bereit.
Später war der Straßenrand nicht mehr schotterig, sonder sandig und wir konnten
wieder aufsitzen. Unser Versuch über einen Wiesenweg einen parallel zur Straße
verlaufenden Feldweg zu erreichen, endete an einem Graben. Knifflig wurde die
Überquerung der Hauptstraße, weil das Verkehrsaufkommen recht hoch war. Auch
das Stück der Bundesstraße, welches wir die Pferde entlang führten, war recht
befahren. Wir hatten jedoch das Glück, dass der Autostrom genau zu dieser Zeit fast
aussetzte, bis wir unseren Abzweig in den Wald hinein erreichten. Ich atmete auf. Wir
hatten ein schwieriges Stück Strecke gemeistert. Die Pferde waren brav gewesen.
Ich war stolz auf uns. Im Dorf Zelimucha schlugen wir einen der typischen
Schlackewege ein, als uns ein Autofahrer anhielt, dass der Weg an seinem Hof
enden würde. Er war äußerst misstrauisch uns gegenüber. Vermutlich dachte er, wir
seien Zigeuner. Ich sagte: „Nije Problemm!“ und wir nahmen einen anderen Weg, der
jedoch leider geschottert war. Irgendwann war mir das Laufen zu blöd und ich sagte
zu Monika: “Los, lass uns hier in die Wiesen abbiegen, wir werden uns schon bis
zum Hof durchfinden!“ Bald stießen wir jedoch auf Zäune mit Wachtürmen, die von
Posten und Hunden besetzt waren. Die Männer bewachten irgendwelche seltsamen
Sträucher mit Beeren daran. Ob es Aronjabeeren sind? Die kleinen Wiesenwege, die
uns im Zickzack um das riesige verschachtelte Objekt herumführten, waren natürlich
alle nicht auf meiner Karte eingezeichnet. Wir waren per Kompass ein gutes Stück
vorangekommen, als der Weg an einem Privatgrundstück zu enden schien. Ich
fluchte bereits kräftig vor mich hin, die Hunde am Haus bellten wie verrückt, als ein
Mann erschien. Ich fragte: „Pschprajamm Pan, stadnina Konni do Lulewiczki?“
(Entschuldigen Sie mein Herr, Pferdestall nach Lulewiczki?) und zeigte mit dem Arm
zum Wald. „Tack!“ sagte dieser „Prawa!“ (Ja, rechts!) und verschwand wieder im
Haus. Es dauerte eine Weile bis ich begriff, dass wir nicht über sein Grundstück
reiten sollten, sondern dort, wo scheinbar der Weg am Zaun endete, sehr versteckt
ein fast zugewachsener Pfad durch den Wald begann. Wiederum erfolgte eine
Odyssee von Reiten auf kleinen Wegen, nur nach Kompass. Mehr nach Gefühl
wandte ich mich an einem Hauptweg nach links. Den Wald hinter uns lassend,
gelangten wir an ein kleines, ärmliches Häuschen. Ich bat Monika dort zu fragen und
ließ die Pferde grasen. Je länger ich da stand und schaute, desto mehr Erinnerung
kam zurück. Es war derselbe einzelne Hof gewesen, wo wir vor 5 Jahren schon
einmal nach dem Weg gefragt hatten, nur, dass wir diesmal aus westlicher, nicht aus
südlicher Richtung hier angelangt waren. Hinter der nächsten Baumgruppe sahen wir
bereits die Koppeln. Der alte Lado wurde ausgiebig betrachtet, als wir sein Alter
verraten hatten. Wir mussten unsererseits die edlen Springpferde holsteiner
Abstammung, sowie die langen Ahnenreihen der Tiere in den Papieren bewundern.
Beim Erzählen und einer Tasse Tee ging die Zeit rasend schnell dahin. Nach dem
Abendessen holte der Hausherr einen Schnaps und später sein Harmonium vom
Schrank. Ich sang die schwermütigen Weisen so gut es ging mit, lernte erstaunlich
schnell den Text und fühlte mich tief drinnen angerührt, so schön war die Musik. Als
es weit nach 23 Uhr war, machte ich mir langsam Sorgen um einen ausreichenden
Schlaf. Auch wollte ich die gemütliche Stimmung nicht zerbröseln. Zum Glück fand
Malev, nachdem wir einige Lieder wiederholt hatten, von selbst ein Ende und sagte,
er würde jetzt noch auf die Jagd gehen. Wir wünschten im viel Erfolg und suchten
erleichtert unser Zimmer auf. Beim morgendlichen Zusammenpacken stellte ich fest,
dass ich eine topgrafische Karte vermisste, mir fehlten ca. 8 km der Strecke. Auch
ein nochmaliges Suchen half nicht. Die Karte blieb verschwunden. Vermutlich hatte
ich sie aufgrund eines Denkfehlers gar nicht erst eingesteckt. Nun würde sich
beweisen wie gut sich mein Gehirn nach 5 Jahren erinnerte. Wir ritten frohen Mutes
los, zunächst wiederum ein Stück durch den Wald. Danach kamen wir an den schwer
bewachten geheimnisvollen Sträuchern vorbei. Nach dem Überqueren der Bahnlinie
wurde ich bereits unsicher, weil Lado an der T- Kreuzung nach links wollte. „Nein!“
sagte ich, „Das kann nicht sein! Der alte Schalter (wie wir ihn gelegentlich liebevoll
nennen) muss sich irren! Ich kann mich erinnern, dass wir den erhöhten Teil des
Bahndamms schon lange gesehen hatten, als wir über die Wiesen ritten. Wir müssen
damals von dort gekommen sein! Lado denkt bestimmt es ginge zurück zur Ostsee!
Der irrt sich! Außerdem müssen wir zu diesem hohen Berg dahinten. Ich kann mich
an eine weite Sicht auf die Stadt entsinnen!“ Auf dem Weg dorthin war ich mir ständig
unsicher. Was, wenn Lado doch recht hatte? Ich meinte mich an das eine Haus zu
erinnern, welches an der Hauswand ein weiß/blaues Karomuster als Verputz hatte.
Ein anderes Haus mit einem hübschen Ziehbrunnen davor meinte ich auch wieder zu
erkennen. Oder waren wir doch auf dem Holzweg? Wir waren vor 5 Jahren auf dem
Ritt aus der anderen Richtung gekommen. Spielte mir meine Erinnerung nun einen
Streich? Plötzlich war der Weg zu ende. Nur eine Traktorspur auf der Wiese war zu
erkennen. Wir kämpften uns durch meterhohes Gras. Unversehens ging die
Traktorspur in einen festen Wiesenweg über und führte uns stetig bergauf, bis wir
von oben einen herrlichen Ausblick auf Bialogard genießen konnten. Bei dieser
Rundumsicht machte es endgültig Klick in meinem Gedächtnis. Genau auf diesem
Berg standen wir vor 5 Jahren schon einmal und haben auf die in der Sonne
flimmernden Stadt geblickt. Stolz erklärte ich meiner Reisepartnerin den weiteren
Weg: „Siehst Du, Monika, dort müssen wir weiter, hinter der Straße; über die Wiesen,
an Gräben entlang, wie im Havelland! Und da ganz hinten, wo diese
Zwillingswaldhügel zu sehen sind, da fängt wieder meine Karte an!“ „Das weißt Du
alles noch!“ entgegnete sie mir mit Bewunderung in der Stimme. Mit vor Stolz
geschwollener Brust vornan reitend, fand ich sogar noch eine Abkürzung über die
Wiesen.
Nach einer Pause im Schatten einer einzelnen Weide trabten wir bald wieder zügig
voran, um der glühenden Hitze zu entgehen. Wie immer auf unseren Ritten, fügte
sich alles zum Guten. Als sich eine Wolke vor die Sonne schob, sprach Monika:
„Siehst Du, das war meine Mutter! Die ist bei uns!“ Ich lächelte. Nach dem Erfolg des
gefundenen Weges wurde ich mutiger und wählte statt einem Stück Straße auf
unserer Ex- Strecke einen neuen Weg in unserer Richtung. Wir wurden mit
ausgesprochen schöner Natur belohnt, bis wir bei Moczylki wieder auf unsere
einstige Route stießen. Leider war der Weg an der Bahn entlang inzwischen
geschottert worden und ich musste abends bei meiner Kartenschau aus dem
vermerkten S (wie Sand) ein Sch (wie Sch...) machen. Im Wald ging es zunächst
steil bergauf, wieder auf sandigem Boden. Die schönen alten Bäume nahmen uns
wiederum in ihren Bann. Wir kürzten die Route noch mehr ab, als geplant und ritten
nicht am See vorbei, mit dem Gedanken, sonst würde es zu spät werden, ehe wir im
nächsten Quartier ankommen. Dafür mussten wir später mühsam Wasser für die
Pferde aus einem steilwandigen Graben schöpfen. Der nächste Wegabschnitt wurde
schwierig, weil der junge Wald durch den wir reiten, auf der Karte nicht existiert. Ich
bin froh als wir Osówko erreichen. Jetzt müssen wir nur noch einen Fluss überqueren
und nach etwa 4 km Wald- und Feldweg würden wir im übernächsten Dorf unser
Quartier erreichen. Als wir jedoch wenige Minuten später ratlos auf einem Hof stehen
und die Bewohner nach dem Weg fragen, rückt unser Tagesziel wieder in die Ferne.
Nur ein steiler Pfad führt am Haus vorbei in die Tiefe zum Fluss, gespickt mit
Felsgestein; für Wanderer begehbar, nicht jedoch für Pferde geeignet. Ein vorheriger
genauerer Blick auf die Karte meinerseits hätte uns davor bewahren können: die
Höhenlinien waren eindeutig ganz eng beieinander eingezeichnet. Ich ärgere mich.
Ein Mann, der, wie viele Polen, gut Deutsch spricht, schlägt vor, die Straße zu
benutzen. Ich sage: „Ale nije tobsche, doschchi Strada, mosche Konni boyische!“
(Aber das ist nicht gut, große Straße, vielleicht haben die Pferde Angst). Der andere
Mann überlegt und erzählt uns, dass am anderen Ende des Dorfes eine neue
Brücke, nach etwa 400 Metern rechts, wenn wir den Ort verlassen haben würden,
sein soll. Wir bedanken uns recht herzlich und gehen zu Fuß weiter. Gerade als wir
am Abzweig sind, kommt der Mann freundlicher Weise mit dem Moped angefahren:
„Ja, da ist richtig!“ Wir danken nochmals recht herzlich und steigen dann auf unsere
Pferde. Am Fluss trafen wir auf die Bauarbeiter, die in der Sonne standen und
angelten. Drahtrollen, Steine und mehrere Sandhaufen lagen auf dem Ufergelände.
Wir grüßten freundlich und ritten weiter. Abgesehen von den bereits fertigen
Uferbefestigungen an einigen Stellen war die Flussniederung unberührt und mutete
bis auf den Weg sehr dschungelhaft an. Nur eine Brücke war weit und breit nicht zu
sehen. Als sich der Fluss gabelte und wir eine Wiese ereichten, machte sich
Enttäuschung breit. „Hier kommt keine Brücke mehr!“ sagte ich und wir wendeten die
Pferde und ritten zurück. „Müssen wir jetzt doch den Umweg über die Straße
nehmen?“ fragte Monika mich. „Scheint so zu sein!“ entgegnete ich missmutig. Als
wir wieder auf die Bauarbeiter trafen, kam ich ins Stutzen, dass plötzlich alle vier
Männer an diesem Ufer standen. „Moment mal!“, dachte ich, „Der eine von den
Vieren stand doch eben noch am anderen Ufer mit seiner Angel. Der muss ja
irgendwie hier herüber gekommen sein. Nass schaut er jedenfalls nicht aus. Also,
muss es eine Brücke geben!“ Ich rufe fragend hinunter und kriege ein: „Tack!“ (Ja)
zur Antwort. Ich frage „Konniki tesch?“ (Pferde auch?) Zurück kommt ein „Mosche
bitt!“ (Es geht) Suchend lasse ich meinen Blick schweifen und entdecke versteckt
hinter den Sandbergen den Übergang über den Fluss. Es ist eine behelfsmäßige
kleine Brücke, jedoch fest installiert und mit sandiger Oberfläche. Wir steigen
vorsichtshalber ab. Die Pferde gehen ohne zu zögern hinüber. Ich denke an
Schopenhauers: „Hindernisse überwinden, ist der Vollgenuss des Daseins!“ Wir
freuen uns wie die Schneekönige; schöner Vergleich, wenn ich an die Hitze dieses
Sommertages zurück denke. Erschöpft und zufrieden, erreichen wir nach dem
nächsten Stück Urwald Losnica. Binnen 5 Minuten hat sich das halbe Dorf um uns
versammelt und beguckt uns und die Pferde. Monika holt sich ein „Lody“ (Eis) im
Laden, ich kaufe „Papierossi“ (Zigaretten). Stolz erzähle ich den Fragenden, dass wir
auf dem Weg von Kolberg nach Küstrin sind. Wir ernten bewundernde Ausrufe und
Kopfnicken. „Djichai?“ (heute) fragt mich jemand. „Do Ostre Bardo, nije dalecko!“
(nach Ostre Bardo, es ist nicht mehr weit) antworte ich. Ich bin froh, dass im
nächsten Ort schon unser Quartier ist. Die Hitze hat uns und die Pferde doch
ziemlich mitgenommen. Bevor wir das Dorf erreichen, genießen wir einen schönen
Ausblick auf die umliegenden Wälder. Der Sohn des Hauses zeigt mir den Stall,
ausgelegt mit einer dünnen Schicht Stroh, angrenzend ein riesiges Gelände, wo halb
wilde Hausschweine und Zuchtdamwild frei herum laufen. Ich überdenke rasch die
Situation und schlage dem jungen Mann vor, das die Pferde draußen schlafen
können, da sie, wenn ich sie einsperren würde, die ganze Nacht Angst vor den
Schweinen haben und nichts fressen würden. Vorsorglich trenne ich mit Elektroband
einen Platz ab, dass die Pferde den Maschinen und Drahtrollen auf dem Areal nicht
zu nahe kommen können. Wir sammeln jede Menge Steine und lose Drähte ab. Ich
erkläre all mein Tun, um bei Bartek nicht den Einruck zu erwecken, uns Deutschen
wäre nichts gut genug. Der erste Schock: „Wo sind wir denn hier gelandet?“ wird,
durch das sehr gute Futter, handgemähtem Kräuterheu und dickem, gelben Hafer,
welches wir für die Pferde bekommen, schnell überwunden.
Bartek spricht Englisch und ist ein zuvorkommender Gastgeber. Er bietet uns dieses
und jenes zu essen und zu trinken an. Auch der Gepäcktransport ist kein Problem.
Am nächsten Morgen erwache ich sehr zeitig. Ich schaue aus dem Fenster um zu
sehen, was die Pferde machen, als ich Monika beobachte, die grübelnd zum
Heuschuppen hochguckt. Ich gehe davon aus, dass sie Hilfe braucht und ziehe mich
rasch an. Wir bewerkstelligen beide gemeinsam das Leiteranstellen und
Heuherunterholen. Danach kuschle ich mich wieder ins Bett um noch mal ein
Stündchen zu schlafen. Beim Frühstück erzählt Monika mir, der Hund habe ihre
Sandale gemopst und verschleppt. Zwei geschlagene Stunden suchen wir
vergeblich. Zwischendurch kommt ein Nachbar und fragt, was wir denn machen
würden. „Schukamm ten buti!“ (Wir suchen diesen Schuh) antworte ich und halte die
verbliebene Sandale hoch. Bartek muss sich dem Tonfall des Mannes nach einige
strenge Worte von dem Nachbarn anhören. Danach beteiligt sich der Mann an der
Suche, als Bartek plötzlich „Find it!“ ruft. Die Enttäuschung ist groß, als wir näher
kommen und einen Halbschuh in seiner Hand erblicken. Peinlich berührt sagt Bartek:
„Sorry, ist another One!“ Wiederholt schauen wir in alle Ecken und Winkel des
großen Grundstücks. Der Schuh ist und bleibt verschwunden. Monika tröstet sich:
„Ich wollte mir ohnehin mal ein Paar neue kaufen. Blöd ist nur, dass ich jetzt nur in
Reitschuhen herumrennen muss!“ Da wir eine recht kurze Tagesetappe vor uns
haben, beschließen wir noch einen Kaffee zu trinken. Während wir auf der Terrasse
sitzen, geht mir der Schuh nicht aus dem Kopf. Da ich nämlich versehentlich die Tür
offen gelassen hatte am frühen Morgen und dadurch der Hund erst Gelegenheit für
seinen Beutezug hatte, plagte mich doch sehr das Gewissen. „Marion, versuche, wie
ein Hund zu denken!“ rede ich mir innerlich zu, „Du weißt, Du darfst keine Schuhe
klauen und tust es trotzdem. Welcher ist der kürzeste Weg vom Haus aus...die
Treppe hinunter?“ Ich springe auf und gehe zum Carport gegenüber der Treppe. Am
Ende der Stellfläche sehe ich frisch aufgeworfene Erde und als ich etwas grabe,
entdecke ich tatsächlich die gestohlene Sandale. Ich breche in ein Triumphgeheul
aus.
Wir verlassen Ostre Bardo in östlicher Richtung. Die Feldwege schmücken prächtige
alte Bäume. Nach einem Stück Wald beginnt eine herrliche Wiesen- und
Flusslandschaft. Auch hier gibt es keine Brücke über die Debnica, obwohl das
Gelände flach ist. Wir reiten am Fluss entlang und wieder in den Wald, genießen das
schöne Ambiente, bis wir einen anderen Übergang finden. In Rudno gibt es eine
Freilandrinderhaltung. Zwischen den braunen Gehörnten kommen einige Lamas
neugierig an den Zaun gerannt. Unsere Pferde wölben den Hals auf und tänzeln
nervös auf der Stelle. Bevor die Lamas spucken können, sehen wir zu, dass wir
weiter kommen. Im Wald führt uns der Weg bergan und wir erreichen einen Rastplatz
mit überdachten Sitzbänken aus Holz. Hier lässt es sich gut pausieren.
Als wir danach das Waldende erreichen, wird der Weg immer schmaler und ich
befürchte schon, dass wir umkehren müssen. Der Pfad führt uns jedoch auf eine
große abgemähte Wiese. Nach einem Blick auf die Karte stelle ich fest, dass keine
Gräben in unserer Richtung eingezeichnet sind. Wir können also ein gewaltiges
Stück Weg abkürzen. Im nächsten Dorf bekommen wir Wasser für die Pferde.
Nachdem wir Kolacz verlassen hatten, folgten wir einem Feldweg der später in den
Wald führte und in einen Hohlweg überging, der so märchenhaft anmutete, dass man
hätte erwarten können, jeden Augenblick würde Ronja, die Räubertochter, vor uns
stehen. Später trafen wir auf eine idyllische Wassermühle und die Route führte uns
bergauf. Von oben konnten wir zu beiden Seiten der Ahornallee mehrere Seen
bewundern. Eingebettet im Hügelland umgeben von Schilf und Wiesen oder Bäumen
waren sie ein phantastischer Anblick.
In Popielewo kauften wir uns unseren geliebten Fruchtsaft der Marke Kubus und
tranken ihn sofort aus. War es Zufall, dass mein neuer Arbeitgeber der
Beschäftigungsträger Kubus wurde, als ich von der Reise wieder daheim war? Der
Rest des Weges an diesem Tage erfolgte unspektakulär überwiegend an der Straße
entlang, bis wir am Landhotel in Brusno eintrafen. Man hatte uns einen Paddock auf
der Pferdeweide abgeteilt, wo jedoch schon seit langem das Gras abgefressen
schien und vergibt aussah. Ich lehnte freundlich ab mit der Begründung, unsere
Pferde würden nach den anderen Pferden treten (was durchaus schon passiert war)
und es wäre nicht gut, wenn der Tierarzt kommen müsste. Man zeigte uns ein
anderes abgezäuntes Areal, wo aber noch weniger Grasfläche zur Verfügung stand.
Ich nickte und meinte, es würde für’s Erste genügen. In dem Flachbau auf diesem
Gelände entdeckte Monika beim Wassereimerfüllen eine Waschmaschine und fragte,
ob wir diese benutzen dürften, da unsere Kleidung ohnehin fällig war. Da es später
anfing zu regnen, packte Monika die Wäsche in den Trockner. Wir waren froh, dass
das Hotel so gut ausgestattet war, denn unsere Klamotten reichten meistens nur für
4 Tage. An diesem Tag war Monika die Aktivere von uns und ging noch mal fragen:
„Dürfen wir für die Pferde auf der Wiese am Haus unseren mobilen Paddock
aufbauen? Wir sind extra wegen des schönen Klees hierher gekommen!“ Dort, wo
die Pferde jetzt untergebracht sind, fänden sie nichts zu fressen. Sie bekam
tatsächlich die Antwort: „Selbstverständlich, ihr dürft alles machen, was ihr wollt!“
Froh machten wir uns gemeinsam daran die Litze zu spannen. Neben unseren 4
Stangen benutzten wir auch Äste von Bäumen zum Einkoppeln. Zufrieden schauten
wir unseren „Schneckis“ zu, wie sie sich über den Klee her machten. Der nächste
Morgen weckte uns mit kräftigem Regen. Ich überlegte zu bleiben. Monika meinte:
„Ach, was sollen wir hier an einem Ruhetag machen. Das bisschen Regen wird uns
schon nicht Aufweichen!“ Also begannen wir die Sachen zu packen, ließen uns aber
Zeit mit dem Aufbruch. Als wir um die Mittagszeit das Hügelland hinter uns gelassen
hatten, kam die Sonne heraus. Im Wald ritten wir einen Höhenweg entlang, der auf
der Karte gesehen 3 km ergab. In der Praxis zog er sich jedoch durch viele
Biegungen und Schleifen endlos dahin und war zu allem Überfluss auch noch recht
steinig, so, dass er uns beim Schrittreiten noch länger vorkam. Am Waldrand
machten wir erstmal eine Pause und ich entdeckte neben der Straße im
Wiesengrund einen Hufschlag. Ich jubelte: „Ich habe einen Schleichweg entdeckt,
Trallallallalla!“ Monika grinste, ich grinste und schon ging es weiter. Ein kleiner Teil
der nun folgenden Strecke war zu meiner großen Verwunderung an den Bäumen
gekennzeichnet: weißes Viereck mit gelbem Punkt. Diese Zeichen kannten wir von
dem deutsch- polnischen Wanderreitweg zwischen Nowo- Polichno und Pritzhagen,
auf den wir im späteren Verlauf unserer Reise noch stoßen würden. Scheinbar hatten
die Polen eine einheitliche Konzeption, denn ich wusste, dass auch in Przybkówko
Wanderreittouren angeboten werden. (Fieser Weise gibt es keine zwei Kilometer
einen Ort, der so ähnlich heißt: Przybkowo, wo es aber gar keine Pferde gibt.) Nach
Przybkówko wollte ich auf unserer Tagesetappe einen Abstecher machen, weil das
hüglige Land mit seinen traumhaften Seen und weiten Aussichten wunderschön in
dieser Region ist. Die Pferde waren enttäuscht, dass wir nicht in Przybkówko Station
machten. So eine Gemeinheit! Ein weiterer Schleichweg brachte uns nach
Trzemienko. Von dort aus wäre es nur noch eine kleine Ewigkeit geradeaus durch
den Wald bis zu unserem Tagesziel nach Strzeszyn gewesen. Auch dieser Weg war
leider inzwischen befestigt worden: mit kleinen, runden Kieselsteinen, wie man sie für
eine Drainageschicht beim Hausbau verwendet; jedenfalls besser, als der
herkömmliche Schotter. Zur Ablenkung wuchsen am Wegesrand jede menge
Himbeeren und wir stopften uns mit den süßen Früchten voll. An einer Kreuzung mit
einer einsamen Konifere zwischen den Kiefern hatte ich die Nase gestrichen voll von
dem steinigen Weg und bog einstig auf ein Gefühl einer positiven Erinnerung hin ab.
Ich hatte recht: der Weg war sandig. Endlich konnten wir wider traben. Als wir einer
Reitgruppe begegneten, ging mir auf, dass wir nach Komorze kommen würden. Die
Erinnerung war wieder da. Auf diese Weise führte uns der zunächst unbewusste
Abstecher an einen der schönsten und saubersten Seen Polens. Am Ufer des
türkisblauen Wassers folgten wir ca. einer Stunde dem Hufschlag bis zum Strand,
der menschenleer in der Abendsonne vor uns lag. Welch ein Genuss der Stille einer
fast unberührten Natur! Der Wind inszenierte ein prächtiges Wolkenschauspiel über
dem weiten See. Wir konnten uns kaum satt sehen an dieser urwüchsigen
Schönheit. Mit diesen Bildern im Kopf machten wir uns an den letzten Rest der
Strecke. Erschöpft kamen wir in Strzeszyn an. Wir waren 10 Stunden unterwegs
gewesen und hatten weit über 50 km gemacht. Adam empfing uns wie alte Freunde.
Schließlich waren wir bereits zwei Mal länger zu Gast bei ihm gewesen. Wir fühlten
uns sofort daheim. Hier hatte Monika ihren „Schlappi- Tag“. Sie legte sich gleich nach
dem Abendessen zum Schlafen hin. Kein Wunder, nach der langen Tour! Ich
versorgte die Pferde, auch hier nur bestes Futter für unsere „Schneckis“. Im Dunkeln
erzählte ich Adam auf der Terrasse von unseren bisherigen Abenteuern in einem Mix
aus polnisch und englisch. Am Tag darauf war uns eigentlich eher nach einem
Ruhetag. Wir wollten jedoch unseren Zeitplan einhalten und starteten trotzdem (in
einen 36° heißen Tag). Unsere Tagesetappe begann a n dem ruhigen See vor
C
Adams Haustür. Stille lag über dem Wasser und dem Wald ringsherum. Nach einer
Stunde erreichten wir über mossweiche Wege, gesäumt von hohen, dunklen
Märchenwald- Tannen (wir waren einfach einem Hufschlag gefolgt) wieder den
großen Komorze- See.
Der Reitweg führte uns diesmal am Südufer entlang. Durch einen lichten Buchenwald
auf einem Plattenweg reitend, erreichten wir schließlich Sikory. Im Dorfladen holte
Monika wieder unseren Kubus- Saft, bevor es den Hügel hinunter zum nächsten See
ging. Am Ufer des Dolgie Sees erreichten wir schließlich die Badestelle bei
Czaplinek, wo wir uns sofort ins kühle Wasser stürzten und die Pferde grasen ließen.
Nach der Pause ging es einen leichten Hügel hinauf und bereits nach zehn Minuten
ritten wir am See Natlino entlang. An der großen Straße hielt uns ein Autofahrer, ein
älterer Herr, an, der uns sehr interessiert befragte, wo wir herkämen und hinwollten.
Er erklärte uns zuvorkommend den Weg, welchen ich ebenso ausgewählt hatte und
den wir ohnehin kannten. Aber ich musste den hilfsbereiten Mann einfach gewähren
lassen. Aufgrund einer missverstandenen Anweisung meinerseits: „Wir müssen vor
dem Wald dahinten links abbiegen!“ lenkte Monika Lado weiterhin nach rechts. Zu
bequem zum Zurückreiten dachte ich mir: „Na gut, dann schlagen wir uns eben
weiterhin am Ufer des Czaplino Sees entlang durch!“ (als hätten wir nicht schon
genug Wasser für diesen Tag gesehen!) Der schmale Fußweg wurde morastig und
gab unter den Hufen der Pferde nach. Als ein Bach kam, zögerte Jasko. Ich sprang
ab und führte ihn hinüber. Der Pfad schien in einem Sumpf zu enden. Doch dann
kreischte links von uns eine Motorsense auf. Hinter dem Krachmacher entdeckte ich
eine kleine Wiese, auf der dichtgedrängt einige Zelte standen. Vertrauensvoll ging
ich auf den Menschen zu, als hinter mir ein angstvoller Schrei ertönte. Ich drehte
mich um und sah zu meinem Entsetzen, Lado bis zur Brust im Morast stecken und
eine Monika, die vom Pferd sprang. Alles geschah in Sekundenschnelle. Neben mir
schaltete der Mann seinen Freischneider aus. Der Stimme nach, war der Mann
ebenso erschrocken wie wir: „Zo to jeest Pani? Zo to jeest!“ (Was machst Du, Frau?
Was tust Du!) Ich merkte wie Jasko mich am Zügel mit sich riss. Er wollte zur Wiese.
Ich wandte mich meinem Pferd zu. Meine Gedanken rasten: „Jetzt müssen wir einen
Bauern mit einem Traktor finden, der Lado wieder rauszieht oder die Feuerwehr
holen!“
Als ich mich im nächsten Moment wieder zu Lado und Monika umdrehte, liefen beide
bereits wieder auf sicherem Grund und eilten mir und Jasko nach. Vor Aufregung
stolperte ich fast noch über eine Zeltstrippe, bevor ich den Wiesenweg fand, der uns
zu einem höher gelegenen Feldweg führte. Dort blieb Monika stehen und fing an zu
weinen und sich mit Vorwürfen zu überschütten. Wir untersuchten Lado auf
Verletzungen. Ihm war weiter nichts passiert oder anzumerken. Das war noch mal
gut gegangen. Ich tröstete Monika so gut es ging. Auch bei mir saß der Schreck noch
tief und mich plagte mein schlechtes Gewissen. Warum hatte ich ihr keine konkrete
Anweisung gegeben? Ich war sehr erleichtert, dass der Weg zum Quartier nicht mehr
als ca. 6 km betrug. Als wir wieder aufsitzen wollten, ereilte uns die nächste böse
Überraschung: der Sattelgurt war gerissen und hielt den Sattel nur noch an zwei
dünnen Gummifädchen auf Lados Rücken. Sofort rief ich bei Adam an. Der sogleich
bereit war zu helfen. „Wich Size you need?“ fragte er mich. „Ups, ich schluckte und
sagte auf’s geradewohl 1,10 Meter. Wir vereinbarten einen Treffpunkt und Adam
würde unser Gepäck gleich mitnehmen. „Das ist meine Strafe, dass ich jetzt laufen
muss!“ sagte Monika. Sie machte sich schwere Vorwürfe: “Warum bin ich nicht
abgestiegen, so wie du? Wieso habe ich nicht besser überlegt, als Du am Hügel
sagtest, wir müssten nach links? Der arme Lado und ich bin es Schuld!“ Indem wir
ausführlich darüber sprachen, waren wir nach etwa 40 Minuten am Treffpunkt
angelangt. Weit und breit war kein Auto an der Kreuzung aus Hauptstraße und
Bahnübergang zu sehen. Monika wartete in einer Wiesenniederung mit den Pferden.
Ich hockte am Straßenrand, um gesehen zu werden. Nach geschlagenen 20 Minuten
hatte ich die Schnauze gestrichen voll. Seit dem verlassen der Sumpfstelle brezelte
mir die Sonne auf den Schädel und ich hatte wahnsinnige Kopfschmerzen. Auch hier
gab es keine schattige Stelle. Die Pferde drehten um Monikas ausgestreckte Arme
einen Kringel nach dem anderen und wollten nichts fressen. „Ich schaff’ das schon!“
sagte Monika und lief tapfer zu Fuß weiter. War ich froh in den Wald zu kommen,
denn inzwischen dröhnte mir der Kopf. Ich warf nochmals einen kurzen Blick auf den
Kompass und weiter ging es. In der Ferne, wieder auf einem Feld, sahen wir schon
den Ort liegen und ich wunderte mich, warum sich Lado so beeilte. Plawno kennt er
doch noch gar nicht!“ dachte ich. In Studniczka, wo wir ursprünglich wieder Quartier
machen wollten, war kein Zimmer mehr frei gewesen. „Komisch!“ dachte ich „Die
Straße macht links von uns einen Bogen- das sieht aber in der Karte ganz anders
aus! Na, vielleicht haben sie eine Neue gebaut!“ Am Dorf angelangt, saßen zwei alte
Männer rauchend am Wegesrand. Ich grüßte freundlich und fragte nach unserer
Caravan- Pension „Bei Angie“. Die beiden guckten mich verständnislos an. Ich fragte
nochmals, in der Annahme sie hätten mein Polnisch nicht verstanden. Der eine Mann
zuckte die Schultern, der andere sagte bedauernd: „Nije mamm sna!“ (kennen wir
nicht!) Mir schwante Böses. Ich fragte, ob dieser Ort Plawno sei. „Nije!“ antworteten
beide wie aus einem Munde „Brujina!“ Wir hatten uns also verritten. Ich bedanke
mich höflich. Auf den ersten Metern, als wir außer Sicht sind, lache ich wie eine
Verrückte, um meine Verzweiflung zu überspielen. 8 Kilometer liegen nun noch vor
uns. Wir tauschen die Pferde. Nun reitet Monika und ich laufe. Ich fragte mich: „Wie
konnte das passieren? Hatte ich den Kompass zu schnell abgelesen, bevor die
Nadel ausgependelt war? Hatte ich Ost und West verwechselt? Hatte die
Zügelschnalle die Kompassnadel abgelenkt? Hatte ich Lado zu sehr vertraut?“ Das
Pferd konnte schließlich nur dahin laufen wollen, was es kannte- nach Studniczka.
Wie auch immer wir waren genau in die entgegengesetzte Richtung geraten. Ich
hätte bereits bei den ersten Anzeichen, als mir etwas merkwürdig vorkam, innehalten
müssen, um zu überlegen. War mir die Sonne zu Kopfe gestiegen? Nachdem wir den
Waldrand fast wieder erreicht hatten, kam hinter uns ein Jeep angefahren. Sonst trifft
man so gut wie nie Leute außerhalb eines Dorfes unterwegs in Polen, da wollte ich
die Chance nutzen. Ich zeigte dem Fahrer unseren lädierten Sattelgurt und fragte, ob
er Monika nach Plawno bringen könne. Ich käme mit den zwei Pferden hinterher. Als
der Fahrer die ölverschmierten Maschinenteile im rückwärtigen Teil des Wagens
betrachtete, quartierte er kurzerhand den Beifahrer aus. Dieser zündete sich in aller
Gemütsruhe eine Zigarette an. Monika quetschte sich mit dem Sattel auf den
freigewordenen Sitz und schon fuhren die zwei in rasendem Tempo davon. Ich trabte
frohgemut hinterher, als kurze Zeit später mir der Jeep wieder entgegenkam. Der
Mann kurbelte die Scheibe herunter und rief: „The way is ending, we find an other
One!“ Und schon brauste er wider davon, so schnell, dass ich Monika nur so auf und
nieder hüpfen sah. Auf einmal befiel mich eine große Angst um Monika: „Was, wenn
dieser Typ nun zu dem anderen Mann zurückfährt?“ Meine Gedanken überschlugen
sich. Die Sorge schnürte mir das Herz zusammen. „Dumme Gans!“ schalt ich mich
innerlich „Du musst doch nicht immer gleich das Schlimmste befürchten!“ Gefühle
und Vernunft lieferten sich einen abwechselnden Kampf. „Was hatte ich mir nur dabei
gedacht?“ fragte ich mich.
Der Weg war tatsächlich zu ende. Das Feld war mit hohem undurchdringlichem Raps
überwuchert. Ich bog in den Hochwald ab und folgte einem Wildpfad. Die Bäume
standen immer dichter, je weiter ich kam. Immer öfter musste ich umgestürzte
Bäume übersteigen. Letzten Endes stand ich vor einem Zaun. „Na, prima! Das
musste ja so kommen!“ lamentierte ich innerlich. Ich kämpfte mich durch
Himbeergebüsch und totes Holz. Mein Kopf konnte nicht mehr denken. Ich musste
mich ganz auf die Pferde konzentrieren. Inzwischen hatte ich die Orientierung ein
wenig verloren. Aber das spielte keine Rolle. Hauptsache war, ich kam aus diesem
fürchterlich dichten Wald heraus. Als ich endlich mehr Sonne durch die Bäume
schimmern sah und schließlich am Feldrand stand, stellte ich fest, dass ich ca. 300
Meter Luftlinie von der Stelle entfernt war, wo der Weg aufgehört hatte. Ein Blick auf
die Uhr verriet mir, dass ich über eine Stunde im Wald herumgeirrt war. Ich ärgerte
mich: „Tolle Leistung! So eine Schnapsidee, in den Wald zu reiten!“ Nun, wo der
Feldweg wieder klar vor mir lag, kehrte die Sorge um Monika zurück. Die Pferde
jedoch machten die klare Ansage, dass sie jetzt eine Pause bräuchten und rissen
entschlossen die Köpfe nach unten, um zu fressen. Danach waren sie nur mühsam
anzutreiben. Sie schienen sagen zu wollen: „Egal, wo Frauchen mit uns noch hin will,
wir gehen nicht mehr schneller!“ Es war eindeutig: Lado und Jasko waren müde.
Vorm Dorf teilte sich der Feldweg in mehrere kleinere Wege auf. „Gleich welchen ich
wähle“, dachte ich, „es ist garantiert der Falsche!“ So kam es dann auch. Der
Wohnwagenplatz lag genau am anderen Ende des Dorfes. Ich zog zwei Pferde hinter
mit her, die Hauptstraße hinunter. Wie froh war ich, als ich ein leuchtend rotes
Hemdchen am anderen Dorfende erblickte- meine Monika. Ich hätte fast geheult. Im
Gegensatz zu mir, hatte Monika nicht die Bohne Angst gehabt, sondern die ganze
Zeit nur befürchtet, dass der Jeep kaputt gehen würde, bei dem Affenzahn, den der
Mann gefahren war.
Den ganzen nächsten Tag verbrachten wir in einem Zustand der Erschöpfung, indem
wir uns ausschließlich um die Pferde kümmerten. Noch nicht mal zum
nahegelegenen See mochten wir zum Schwimmen gehen, so ein ekelhaftes
schwülwarmes Wetter war es. Da wir die einzigen Gäste auf dem Platz waren, wurde
die kleine, ringsum von Kiefern bestandene, Wiese zu unserer Ruhetag- Idylle.
Wir kochten in der offenen Camper- Küche heißes Wasser, um den Hafer aufquellen
zu lassen und verfütterten ihn in mehreren kleinen Portionen. Das eine Bund Heu
mussten wir einteilen. Doch auch hier kam unerwartet Hilfe. Ein Bauer mähte die
Brache nebenan und ich fragte mit dem leeren Hafersack im Schlepptau, ob ich
etwas von dem Gemähten einsammeln dürfte. „Prosche, prosche!“ (Bitte, aber bitte
sehr) antwortete mir der junge Bursche auf dem Traktor. „Siehst Du!“ meinte ich
strahlend zu Monika, „Es findet sich alles! Das Glück bleibt uns treu!“ Wir wuschen
unsere Wäsche, die in Windeseile trocken wurde. Monika braute, mach einem
Einkauf mit der Gastgeberin in der Stadt, ein pferdestarkes Mückenabwehrmittel aus
Essig, Knoblauch und anderen extrem riechenden Zutaten. Ich dachte an den
gestrigen Tag zurück: „Hatte ich die Lage so falsch eingeschätzt? Wo war mein
Sicherheitsdenken geblieben? So ein Risiko würde ich wohl kaum noch einmal
eingehen. Ich gelobte mir, stattdessen wieder mehr auf mein Bauchgefühl zu hören.
Bereits bei Adam, als uns danach war, hätte uns ein Ruhetag gut getan. Sch...auf
den Zeitplan- das nächste Mal. Ich probierte den Sattelgurt aus. Er passte wie
maßgeschneidert. Ich rief Adam an, dankte ihm für seine Hilfe, auch, wenn er uns
nicht gefunden hatte und gleich zum Hof gefahren war. Den Gurt bräuchte ich ihm
nicht zurück schicken, das Porto wäre teurer als der schöne alte Stoffriemchen-
Sattelgurt. Er wäre froh, dass alles geklappt hätte. Ich sagte ihm, ich sei ebenfalls
unheimlich froh ihn als Freund zu haben.
Frau Kudyba schaute uns recht merkwürdig an, als wir zum Abendessen
Pellkartoffeln mit Quark haben wollten und überraschte uns mit einem
ausgezeichneten Mahl, gekrönt von frischen Pfifferlingen. Die Tochter malte ein
wunderschönes Bild von den Pferden und erzählte uns von ihrem Reitpferd im
nahegelegenen Stall in Czarne Male. In der Nacht kam der ersehnte Regen und
kühlte die Temperaturen wieder auf ein erträgliches Maß herunter. Erholt brachen wir
in Plawno auf und ritten zunächst am Zemno See entlang. Rechter Hand lag
versteckt auf gleicher Höhe der Ciemniak See. Danach führte unser Weg parallel zur
Bahnlinie entlang. In dem kleinen verschlafenen Ort Kalensko Gorne fand uns wieder
ein vierbeiniger Freund, der uns beharrlich verfolgte. Eine Frau versuchte vergeblich
den Hund dazu zu bewegen von uns abzulassen. Als es endlich geschafft schien,
tauchte er wieder hinter uns auf. Einige Kilometer weiter erschien die Frau plötzlich
vor uns mit einem Fahrrad und einer Leine und konnte des Ausreißers habhaft
werden. In Bobrowo am See gab es einen Laden für unsere wohlverdiente Kubus-
Pause. Im Wald begegneten wir einem weinenden Mädchen mit einer Bierflasche in
der einen und einem Fahrrad in der anderen Hand, das Gesicht tränen- und
staubverschmiert. Ich hätte sie gern getröstet oder wenigstens etwas Freundliches
gesagt. Doch der Augenblick dafür war rasch vorüber und wir nahmen auf den
nächsten Hügel ein Stück von der Traurigkeit dieses Mädchens mit. Der weitere Weg
führte uns durch hügliges Land nach Osiek Drawski und dann zum Stawno See. Eine
Durststrecke war der schotterige Weg von Kasobudki nach Linowo. Nochmals
zahllose Hügel überquerend gelangten wir schließlich zu dem majestätischen Lubie
See. Nachdem wir die Pferde eingekoppelt hatten, war immer noch niemand zu
sehen. Hatten die Gastgeber uns vergessen? Der Hof liegt gleich am Wasser und wir
hörten einige Male Motorengeräusch. Nachdem wir uns mindestens vierzig Minuten
über verschwundene Medizinfläschchen gestritten hatten, ausgerechnet die
Herztropfen von Lado, die dann in Monikas Bauchtasche wieder auftauchten, war
alles Warten äußerst langweilig (Auch das Streiten und hinterher wieder vertragen,
gehört zu einem Ritt). Wenn uns jemand gehört hätte- wie peinlich! „Vielleicht sind
sie am Ufer des Sees zugange und arbeiten dort?“ sagte ich zu Monika „Haben sie
uns nicht damals was von einer Insel erzählt?“ Monika ergänzte die fehlende
Information aus ihrer Erinnerung heraus, dass nämlich Martin und Michael einen
Campingplatz auf der Insel eröffnen wollten. Sie ging also den Geräuschen nach und
siehe da, da waren auch die beiden Jungens zugange und schipperten ihre Gäste
mit der Fähre rüber und nüber.
Im Haupthaus auf dem ein Quadratkilometer großen Eiland bekamen wir dann zu
später Stunde unser Essen. Zurück zum Festland bescherte uns die späte Stunde
eine romantische Mondscheinfahrt. Silbern gleitet der helle Schein übers Wasser.
Leise gluckst und plätschert es in kleinen Wellen ans Schilf.
Am nächsten Morgen wird das gemeinsame Frühstück auf der Insel eingenommen.
Wie es eben so ist mit mehreren Personen: es dauert und dauert und dauert. Wir
kamen erst gegen 11 Uhr weg- spät für einen Wanderreiter. Wir verließen die
lieblichen Hügel mit Blick auf den See, um den Ort Lubieszewo zu durchqueren. Der
Schotterweg Richtung Osten war inzwischen asphaltiert worden. Ein Feldweg
brachte uns in den Wald. Die alte Plattenstraße auf dem Hauptweg gab es noch.
Dankbar dafür, dass wir sie hier getroffen haben, lasse ich mir von einem der
Forstarbeiter Feuer geben, damit ich meinem Laster frönen kann. Während ich
rauche, pflückt Monika derweil Walderdbeeren. Endlich kam Sand und wir konnten
traben. Doch unsere Freude währte nicht lange, denn der Hauptweg Richtung Orle
war inzwischen ebenfalls befestigt worden- mit feinem kiesigen Schotter. Am Orla-
See legten wir eine Pause ein- ganz von Ruhe und grünem Laub umgeben. Nur ein
einsamer Angler sitzt versteckt im Schilf, als wir auf dem Pfad am Ufer entlang
kommen. Wir verlassen den Orla- See durch einen Eichenhain auf einem Waldweg,
der sich malerisch durch die Hügel windet. Ehrfurchtsvoll genießen wir still in uns
gekehrt diese Naturschönheit. Nach Orle reiten wir größtenteils auf einem Waldweg
parallel zum Hauptweg, bis wir die Bauarbeiter eingeholt haben. Nach dem hübschen
Ort, der mit lustigen Holzfiguren geschmückt ist, gelangen wir auf einem Plattenweg
zum Orle- See. Ein Schild weist auf einen Campingplatz hin. Aber nichts ist zu hören.
Stille überzieht den Orle- See. Wer weiß es? Vielleicht wird das bald anders sein.
„Die Deutschen haben Polen noch nicht als Urlaubsland entdeckt!“ hatten uns Martin
und Michael in Lubiziewo ihr Leid geklagt. Für uns ist die Einsamkeit ein Paradies.
Schließlich verlassen wir den Sosna- Wald. Ein Feldweg führt uns zur
Hauptverkehrsstraße. Dahinter wartet wieder ein Waldweg auf uns. Wir gelangen aus
nördlicher Richtung kommend nach Bialy Zdroj. Bei Tommek werden wir nicht wie bei
unseren ersten Besuchen zuvorkommend empfangen. Der Hausherr ist nicht da. Das
Klima ist spürbar anders geworden. Der gute Hausgeist ist ausgeflogen. Alle Zimmer
sind belegt, obwohl ich eines bestellt hatte (das einzige Quartier, bis auf unser Ziel,
welches vor der Abfahrt fest gebucht war). Wir versorgen zunächst die Pferde. Beim
Nachbarn, wo wir untergebracht werden, erwartet uns eine Überraschung. Kaschia,
hochschwanger, ist mit ihrem Mann auf Besuch. Wir freuen uns für die beiden.
Kaschia hatte lange Jahre nebenan bei Tommek gearbeitet und uns damals mit ihren
Kochkünsten verwöhnt. Wir fühlen uns sofort wohl. Der frostige Empfang nebenan ist
vergessen. Es wird gegrillt und ein zünftiger Cola- Wodka gemixt. Der Gastgeber, ein
Belgier, bessert sein Deutsch auf. Ich bleibe trotzdem weitestgehend beim
Polnischen, damit ich ebenfalls üben kann. Abends faltete ich wie immer meine Karte
für die nächste Tagesetappe und entdeckte in der Nähe von Bialy Zdroj eine Stadt
namens Tuczno. Jetzt wusste ich, warum uns der Belgier vorhin so merkwürdig
gefragt hatte: „Ihr wollt morgen nach Wygon und dann nach Tuczno...?“ Es gab zwei
Tucznos: eine Stadt und ein Dorf. Wir wollten ins Dorf und hatten fälschlicher Weise
in der Touristeninformation in Ustronie Morskie vor Beginn unseres Wanderritts ein
Quartier in der Stadt Tuczno gebucht, die gar nicht auf unserer Strecke lag. Kaschia
probierte für uns über das Internet eine Übernachtung im Dorf Tuczno zu finden,
scheiterte jedoch. Wir mussten uns also diesbezüglich auf unseren Gastgeber in
Wygon verlassen. Rasend schnell vergeht die Zeit. Wieder kommen wir erst nach
Mitternacht ins Bett. Wieder brechen wir spät auf, trotz frühem Aufstehen. Wieder
begleitet uns ein Hund auf dem Ritt und will partout nicht zurück nach Hause. Wir
reiten an einer Seenkette vorbei und gelangen durch den Wald zur Korytnica. Den
Fluss entlang reitend, begleiten uns lärmende Paddler auf dem Wasser. Wir
beneiden sie nicht, denn viele Bäume sind umgestürzt und die Boote müssen oft
getragen werden. Ich verwechsle die Uferseiten, weil meine 5 Jahre alten
Aufzeichnungen so unübersichtlich eingetragen sind. Wir geraten auf etliche
Stichwege, die am Ufer enden und die wir wieder zurück reiten müssen. Wo es
schon so spät am Tage ist, geht uns dabei kostbare Zeit verloren. Bald habe ich
keinen überblick mehr, an welcher Flussschleife wir uns befinden. Ich gebe Monika
den Kompass. Es ist leichter für mich nur Karte lesen zu müssen. Der Hund hat bald
große Mühe mitzukommen. Es ist eine große schwarze Sie mit dichtem langen Fell,
die immer öfter kurzatmig hechelnd liegt, so bald wir auch nur ein Signal zum Halten
geben. Vielleicht ging der Kompass dem Hund zuliebe verloren, damit dieser eine
längere Pause haben konnte. Monika ging zurück zum Rastplatz, umsonst. Ich lief
den Weg zurück zu den Fischteichen in Sowka, wo wir aufgestiegen waren und ich
den Kompass noch an Monikas Hose hatte hängen sehen. Natürlich blieb der
Kompass verschwunden. „Zwei Stunden Suche- vergeblich“ dachte ich „na,
wenigstens die Pferde und der Hund haben sich erholen können!“ ich war total sauer
auf Monika: „Wie soll ich, bitte schön, mit dieser bescheidenen 1:100.000er Karte
ohne Kompass den richtigen Weg finden? Nur Hauptwege reiten, die auch noch
geschottert sind?“
„Marion, Du hast auch schon mal etwas verloren!“ kommt von Monika die Antwort.
„Aber doch keinen Kompass, Mensch!“ werfe ich ihr vor: „Ich habe einfach Angst,
dass wir uns so richtig böse verreiten! Die Wälder sind hier riesengroß! Heute scheint
noch die Sonne, aber, was wird morgen für ein Wetter sein?“ Vor mich hinbrütend,
hocke ich auf dem Pferd. „Bin ich nicht zum Teil auch selbst Schuld?“ überlege ich.
„Hatte ich nicht Monikas großen, guten Kompass auf einem Übungsritt verbummelt?
War ich eine feige Nuss, weil ich es ihr nicht gesagt hatte und stattdessen nur den
kleinen Kompass einsteckte? Hatte Anna mir nicht ausdrücklich empfohlen an dem
kleinen Kompass den leichten Karabiner gegen einen schwereren auszutauschen?“
Sie hatte mich gewarnt, dass man den Kompass rasch verlieren könnte, weil das
Aluminium sich unbeabsichtigter Weise öffnen täte. Hatte ich die entsprechende
Vorkehrung getroffen? Ich musste mir selbst mit einem Nein antworten. Die nächsten
Tage würden wir ohne das Gerät auskommen müssen. Immer noch zerknirscht
wegen des Verlusts entschuldigte ich mich später bei Monika. Unsere Spannung
wurde gelöst, als wir einen wunderschönen Uferweg an der Korytnica entlang ritten.
Nachdem wir Zatom hinter uns gelassen hatten, erreichten wir den Rokiet See.
Dort nahm ich an einsam gelegener Stelle abseits von den Badegästen ein
erfrischendes Bad, bevor wir weiter durch den Wald ritten und den Piaski See
erreichten. In Wygon knallten wir ins pralle Partyleben. Auf dem Hof saßen etliche
Leute beim Grillen und suchten später unter viel Gekreische und Gekicher ihre
Zimmer auf. Hinter Hof und Garten waren die jungen Leute, mit denen ich später
Kontakt fand, untergebracht: zwei überdachte Sitzgruppen, zwei Großraumzelte,
Musik aus dem Auto in voller Lautstärke. Dort befand sich auch die Pferdekoppel,
üppig grün. Nach einer gemeinsamen Beratung beschlossen Monika und ich einen
Ruhetag ein zu legen, zum einen war der morgige Tag ein Sonntag, zum anderen
das Wetter zu heiß und würde sich möglicher weise nach dem angekündigten
Gewitter abkühlen.
Die Leute vom Hof waren möglicher weise überfordert mit der Vielzahl an Gästen.
Für unser Anliegen nicht nur das Gepäck zu fahren, sondern auch noch ein Zimmer
nebst Verpflegung für uns zu finden, hatte niemand ein Ohr. Nur Frau Wolarek zeigte
sich äußerst freundlich und hilfsbereit. Wir deckten uns bei ihr für zwei Tage mit
Lebensmitteln aus dem hauseigenen Laden ein. Die Hündin hatte sich die Pfoten
wund gelaufen und lag erschöpft im Hof. Zunächst dachten alle sie würde zu uns
gehören. Ihr Frauchen war dann sehr froh sie wieder abholen zu können. Die Frau
wies uns noch darauf hin, dass wir unseren faltbaren Heu- Einweichbehälter in Bialy
Zdroj vergessen hätten. Sie habe jedoch aus der Sorge um ihr Tier heraus, nicht
daran gedacht, ihn mit zu nehmen. Sie würde jedoch morgen früh ihre Großmutter in
Küstrin besuchen und ihn auf der Fahrt dorthin bei uns abliefern. Von dieser Idee war
die junge Frau nicht abzubringen, froh etwas für uns tun zu können, weil wir den
Hund so gut gehütet hätten. Welch eine Ironie des Schicksals, dass wir glücklicher
Weise die nächsten Tage ohnehin kein Heu, sondern reichlich Wiesenfläche für
unsere Pferde vorfanden! Der Ruhetag brachte uns gefühlte 40° im Schatten. Wir
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wuschen unsere Wäsche, stellten die Pferde, so lange die Gäste zum Paddeln
waren, in den Schatten der Hofdurchfahrt, machten uns Salat und Pellkartoffeln mit
Quark. Der Großvater reagierte zunächst sehr mürrisch auf unsere Bitte, ob er uns
sagen könne, wo wir Hafer bekommen könnten. Erst mein weiteres flehentliches
Erzählen und wohl vor allem mein Willen Polnisch zu sprechen: „Jedden Konni stare
Konni, 26 lat, nije Owijes- nije wollne, powolli; Owijes- tobsche mosche bitt...!“ (ein
Pferd- altes Pferd, 26 Jahre alt, kein Hafer- will er nicht, langsam; Hafer- wird es gut
gehen!), ließ den alten Mann erweichen. Groß war meine Freude, als er mit seinem
Fahrrad und einem halben Sack Hafer auf dem Gepäckträger zurück kam. Ich
bedankte mich überschwänglich und drückte seine Hand mit meinen Zweien, so froh
war ich, dass der alte Mann sichtlich gerührt war. Mit dem Quartier in Tuczno wollte
es nicht gleich klappen. Herr Wolarek vertröstete uns zuerst ständig, keine Zeit. Dann
versuchte er telefonisch etwas zu erreichen, ohne Erfolg. Wir trugen es mit
polnischer Gelassenheit: „Alles findet sich, Du musst nur warten können!“ Schließlich
wurde es Abend und alle anderen Gäste waren abgereist. Ruhe kehrte ein.
Wind kam auf und mit ihm der Regen, endlich die ersehnte Abkühlung. Wir ritten auf
Gut- Glück in den neuen Tag mit dem Versprechen der Gastgeber, wenn wir am
frühen Abend anrufen würden, dass dann ein Quartier für uns gefunden sein würde.
Wir verließen Wygon in westlicher Richtung. Zuerst stießen wir auf einen kleinen See
bei Antoniowka. Immer weiter ging es durch den Wald: zum Rosiczka See, zum
Smolary- See, zum Brzeg- See, einer schöner, als der andere. An der Waldkante
entlang streiften wir den Ort Plawno- den gab es also auch mehr als einmal. Plötzlich
schauten zwei Köpfe aus dem Korn: zwei Damhirsche mit prächtigem Geweih. Sie
zögerten, als wollten sie sagen: „Betrachtet uns noch in Ruhe!“, bevor sie davon
stoben. In Objezierze machten wir an einem idyllischen See mit Steg Pause, bevor
wir die Bahnlinie überquerten und ich im Chlopowo- See baden ging, während
Monika Brombeeren pflückte. Welch ein wundervoller Seen- Tagesritt!
Ich verstand nur die Hälfte, die mir Herr Wolarek über Komurka (Handy) versuchte
mit zu teilen. Nachdem wir im Dorf gefragt hatten, ohne zu wissen nach wem wir
fragen müssten, schienen alle Bescheid zu wissen und zeigten auf den alten
Schlosspark mit einem rosafarbenem Schloss. Neben der Einfahrt war ein
pinkfarbenes Tuch angebunden. „Sieh’ mal, Monika, hier ist ein Zeichen für uns!“
sagte ich. Unser Quartier befand sich im „Palast Tuczno“, einem alterwürdigem
Nebengebäude. Die Pferde mochten die Schlosswiese unter alten Buchen nicht
besonders. Ich war froh, dass wir wieder Hafer auf unsere Nachfrage hin bekamen,
denn unsere Reserven waren zur Neige gegangen. Die Zimmer waren mit schönen
alten Möbeln ausgestattet, rote Läufer führten die Treppen hinauf. Wojtek aß mit uns
zu Abend in einem mit kostbaren Büchern ausgestattetem Saal. Wir kamen uns an
der langen Tafel, neben dem kobaltblauem, alterwürdigem Ofen, den schweren,
samtenen Vorhängen vor den Fenstern und dem feinem Teegeschirr wie in einem
Märchen vor. Wir wurden von einer älteren Frau am Tisch bedient, was mir äußerst
unangenehm und peinlich war. Ich errötete, als ich den Wunsch nach Orangensaft
äußerte, da ich sehr durstig war und die alte Dame davon eilte, die Stufen der Treppe
zur Küche hinauf. Nach und nach kamen Wojteks Freunde an der offenen Tür vorbei,
grüßten und ein Mann nach dem anderen verschwand in der Küche. Langsam
dämmerte uns, dass das pinkfarbene Tuch nicht nur für uns am Eingang befestigt
war. Mit Wojtek fanden wir bald ein Thema: vom Aussterben bedrohte Tiere. Der
Mann erzählte von Reisen in Asien- er musste weit herumgekommen sein. Wieder
kamen wir spät zum Schlafen. Wieder brachen wir am nächsten Tag spät auf. Der
Himmel hatte für uns die verschiedensten Wolkenbilder gezaubert und wir staunten
über den wundervollen Anblick beim Abritt. Die Felder waren auch hier von
Riesenbärklau gesäumt. Die Pflanzen waren größer, als wir zu Pferd.
Die Weite eingefangen im Fotoapparat gelangten wir nach Zabicko, wo wir bereits
die Schneckis tränken mussten, da es so heiß war. Störche klapperten auf einem
Dach und alte Kastanien beugten sich über das Kopfsteinpflaster. Über eine Vielzahl
von Feldwegen, die oft nicht in meiner Karte eingezeichnet waren, fanden wir in den
Wald, wie ich es geplant hatte. In dem sumpfigen Gebiet waren viele alte Bäume zu
bewundern, bis wir auf eine Allee gelangten, die von hohen Farnen und großen
Steinen gesäumt war.
Verzaubert von dem Anblick erreichten wir ein einsames Waldhaus, wo wir nach
Wasser für die Pferde fragten, welches diese jedoch verschmähten. Die freundliche
Frau gab uns den Tipp zum nahegelegenen Pelcz- See zu reiten, um die Pferde zu
tränken und zu baden. Aufgrund der Hitze nahmen wir den Abstecher zum See wahr
und erfrischt vom Schwimmen, setzten wir unseren Weg in südlicher Richtung fort.
Durch den Wald gelangten wir zum Wielgie- See bei Dankow, überquerten die große
Straße und kamen in ein neues Waldgebiet. Hier war der von mir ausgewählte Weg
mit Schienenbausteinen geschottert und ich musste umdisponieren. Der andere
Waldweg war zunächst sandig und dann auch befestigt, jedoch mit wesentlich
feinerem Material. Der nächste Hauptweg war ebenfalls sehr steinig. Vom langen
Schrittreiten und Führen hatten wir bereits genug. Deshalb nahmen wir den
Waldweg, der noch zur Wahl stand und, der sich als sehr idyllisch erwies. Er
schlängelte sich durch einen dichten Buchenwald dahin und bot uns sowohl schattige
Kühle, als auch den Anblick schöner, alter Bäume, bis wir Moczydlo erreichten. Die
Höfe lagen verstreut zwischen den Hügeln. Ohne Kompass kam ich mir ein wenig
verloren vor, als es wieder in den Wald ging. Aber Jasko führte uns instinktiv zum
südlich gelegenen See. Der Höhenweg durch den lichten Buchenwald mit dem Blick
von oben in die türkisblauschimmernde Tiefe des Sees war mir noch in Erinnerung
und es war ebenso zauberhaft wie damals. Jetzt führte uns ein sandiger Weg immer
an der Seenkette entlang nach Lipy. Am Campingplatz wusste niemand etwas von
zwei Reitern, die kommen würden, geschweige denn von unserem Gepäck. Ich
versuchte mehrmals unser Anliegen in der Rezeption vorzubringen. Ein Zimmer in
den Finnhütten könnten wir haben, unser Gepäck blieb jedoch verschwunden. Wie
blöd konnte ich sein? Ich hatte noch nicht mal eine Telefonnummer aus Tuczno, um
bei Wojtek anrufen zu können. Man schickte uns ins Dorf zur Agrotouristik. Die
Pferde waren nicht begeistert, dass sie zurück sollten. Monika tröstete mich, denn die
Wiese, wo wir damals die Pferde eingekoppelt hatten, war längst einer kurz
geschorenen, versandeten Rasenfläche gewichen. „Das folgende Geschehen
bestimmte der Pferdegott!“ meinte Monika hinterher zu mir. Auch die junge Frau von
der „Agro“ wusste nichts über unser Gepäck und begleitete uns zum Ökohaus. Dort
waren unsere Sachen auch nicht. Aber die Dame des Hauses, Halina Paczynska,
erkannte uns wieder. Wir dürften gern im Cottage übernachten. Vor allen die Pferde
fühlten sich hier wohl: diesen Platz kannten sie ebenfalls und das Futter wuchs
reichlich. Sie begannen sogleich vertrauensvoll zu grasen. Ich musste erstmal eine
Runde weinen und eine Zigarette rauchen, so groß war meine Anspannung. Was war
passiert? War das Auto mit unserem Gepäck liegengeblieben? War jemand mit den
Sachen durchgebrannt? Quatsch- völlig unwahrscheinlich!“ korrigierte ich meine
Gedanken „mit dreckigen Klamotten und stinkenden Pferdedecken?“ Die Rettung
brachte Monika, denn sie hatte im Gegensatz zu mir, wenigstens einen Blick auf die
Visitenkarten geworfen und wusste, dass wir im „Palast Tuczno“ zu Gast gewesen
waren. Mir war das gar nicht bekannt, dass der Schlosshof so hieß. Mit dieser Info
konnte Wojtek ausfindig gemacht werden und bald darauf stand ein Auto mit
unserem Klimbim auf der Wiese vor unserem Häuschen. Rasch entpuppte sich das
verschwunden gewähnte Gepäck als Missverständnis. Ich war davon ausgegangen,
es würde bereits da sein, wenn wir ankämen. Wojtek hatte mich so verstanden, er
würde es gebracht haben, wenn wir ihn anrufen, da wir ihm keine genaue Adresse
vom Campingplatz nennen konnten, denn dieser war nicht im Internet zu finden
gewesen. Nach dieser Aufregung war es wieder spät geworden. Die Schneckis
grasten zufrieden. Wir wurden von Frau Paczynska vorzüglich beköstigt.
Beim Verabschieden signalisierte sie uns, dass gern auch größere Gruppen
willkommen wären und sie sogar Reitrouten ausarbeiten würde für ihre Gäste. Mir
war ganz komisch zumute. Sollte tatsächlich schon die letzte Tagesetappe vor uns
liegen? Was wird uns heute noch an Abenteuern erwarten? Von Lipy aus folgten wir
der „Konnitrassa“ (Pferderoute) auf den gekennzeichneten Wegen.
Die Pferde erkannten die Strecke sofort wieder und zogen los, als hätten sie 7-
Meilen- Stiefelchen oder die Schuhe des kleinen Muck an den Hufen. Vielleicht
spürten sie auch, dass nun das Ende des Rittes nahte und wir bis zur Abholung in
Sosny bleiben würden. Am Grabino See ging Monika schwimmen. Als Jasko fast ein
Stück Angelsehen mit Haken mitgefressen hatte, drängte ich zum Aufbruch. Die
Rangerhütte am nächsten See, wo einst Mariental stand, eignete sich viel besser für
eine Pause. An der Marienquelle holten wir frisches Wasser. Nach der Pause trafen
wir nach wenigen Metern auf eine Grabstätte. Es ist die von Erika Sommer, einem 9-
jährigen Mädchen, welches hier als eines der letzten Kriegsopfer im Winter 1944/45
den Tod fand. Eine Grundschule sorgt für Blumen und Pflege an dieser Stelle. Später
ritten wir an dem Förstergrab vorbei, der einst vor langer Zeit von zwei Wilderern
erschlagen wurde. Die Ruhestätte sah gepflegt aus und war mit Blumen geschmückt.
Zufällig wurde der Mann gefunden, hatte uns vor 5 Jahren Witec aus Marwice
berichtet und konnte die zwei Mörder noch beschreiben, bevor er verstarb und die
beiden gefasst wurden. Wir reiten weiter über weiche, moosige Waldwege. Nach
dem Überqueren der Hauptstraße erwarteten uns sumpfige Wiesenwege, bis wir den
Buchenwald vor Marwice erreichten. Die Pferde waren enttäuscht, als wir nicht zum
Dorf abbogen. Sie konnten ja nicht wissen, dass es die Wanderreitstation dort nicht
mehr gab. Gern wäre ich noch weiter auf der Konnitrassa durch die Bogdaniecer
Berge geritten, einem besonders schönen Naturschutzgebiet. Aber dieser Umweg
mit seinen Steigungen wäre für einen Tag zu viel gewesen. Deshalb bogen wir im
Wald vor Raclaw ab und ritten in westlicher Richtung über die Felder. Nach einem
einsam gelegenen Hof trafen wir auf eine besonders hübsche Baumallee aus uralten
Linden und Eichen. Ein Baum war schöner als der andere in seiner Individualität,
seiner Ausstrahlung, Symbol von Kraft und Stärke. Der Untergrund war steinig und
so kamen wir nur langsam voran. Ein schnelleres Reiten wäre ohnehin wegen der tief
hängenden Äste kaum möglich gewesen. In Stanowice waren wir alle Vier ein wenig
auf dem Tiefpunkt und schlurften lustlos durchs Dorf. Die verstohlenen Blicke der
Leute waren dieselben wie daheim. Sie schienen zu fragen: “Warum gehen sie zu
Fuß, wenn sie zwei Pferde haben?“ Die Kinder waren wie immer am Unbefangensten
und fragten uns mit dem Fahrrad nebenher tretend, warum wir nicht reiten würden.
„Zmenschona!“ (müde) antwortete ich. Bewundernd prustend oder ungläubig
kreischend, reagierten sie, wenn ich das Alter von Lado nannte und rasten davon,
um es den Erwachsenen zu erzählen. Ein Mädchen war eine hartnäckige Fragerin.
Obwohl ich nur knapp ein Drittel von dem verstand, was sie fragte, bekam sie
dennoch befriedigende Antworten von mir, die ich mehr aus dem Bauch heraus, als
mit dem Kopf gegeben hatte. Stolz auf die erfahrenen Neuigkeiten und ihren Mut die
Fremden angesprochen zu haben, krähte sie besonders laut die Dorfstraße hinunter,
um ihre Freundinnen zusammen zu rufen. Der weitere Weg bestand zum Teil aus
Schotter und zum Teil aus Schlacke. Wir liefen tapfer weiter, um die Pferde zu
schonen. Bei dem Ort, mit dem unaussprechlichen Namen Nowe Dzieduszyce
kamen wir in den Wald. Hügel und Schluchten wechselten sich ab bis wir Sosny
erreichten. Wir wurden herzlich empfangen. Auf dem großen Gelände des
ehemaligen Gutes war alles noch so wie wir es in Erinnerung hatten.
Die alten Kastanien säumen die Allee, welche zum Schloss führt, das immer noch
leer steht. Johanna, die den Kindern aus drei Dörfern auf dem alten Gutsgelände die
Möglichkeit gibt, sich zu treffen, zu spielen und zu lernen, bietet auch
Gruppenaktivitäten wie Zeichnen und Tanzen an. Eine kommerzielle Nutzung des
Geländes möchte sie jedoch nicht und so steht ein großer Teil der Gebäude leer. Wir
sind im ehemaligen Stuten und Fohlen- Stall untergebracht. Die Zimmer und
sanitären Anlagen sind nur durch Vorhänge voneinander getrennt, was wieder etwas
gewöhnungsbedürftig ist. Johanna spricht sehr gut Deutsch und wir haben beim
Abendessen viel zu erzählen. Angekommen- wir hatten es geschafft. In dieser ersten
Nacht in Sosny begann es zu stürmen und hörte drei Tage lang nicht auf zu regnen.
Ein Baum fiel auf die Stromleitung und ließ die Straßenbeleuchtung erlöschen. Die
Regendecken der Pferde hielten den Wassermassen bereits in der ersten Nacht
nicht mehr stand und wurden danach auch nicht wieder trocken. Der Lärm auf
unserem mit Blech gedeckten Dach war unerträglich laut und das Wasser tropfte
durch die schadhaften Stellen, so, dass überall verteilt Gefäße standen, in die es
hineintropfte. Der Regen stellte die Geduld der Kinder auf eine harte Probe. Sie
wollten gern reiten, das war versprochen. Doch dazu musste das Wetter erst besser
werden. Nach einem Ruhetag im Regen sattelten wir im Regen die Pferde und ritten
im Regen in die Bogdaniecer Berge. Durchnässt kamen wir zurück und waren erfreut
über Johannas Suppe. Wir machten uns wegen des Regens Sorgen um die Pferde
und lockten sie in einen alten Stall in der Hoffnung sie daran zu gewöhnen, damit sie
sich unterstellen könnten. In dieses Versteck hatten sich massenweise
Weinbergschnecken verkrochen und ich sammelte einige Dutzend Exemplare auf,
um sie woanders wieder hinzusetzen, weil ich sie vom Zertretenwerden durch
Pferdehufe verschonen wollte. Kaum war dort der Hafer aufgefressen von den
beiden, stürmte Lado im Stechtrab hinaus, als wolle er sagen: „Hier will ich nicht
bleiben, lieber draußen frei sein!“ Jasko sprang im Galopp hinterher und stieg vor
lauter Übermut drei, vier Mal kerzengerade in die Luft. Das war nun ein Verhalten bei
Jasko, welches mich doch sehr stutzig machte. Wenig später hatte Monika entdeckt,
dass die Kinder heraus bekommen hatten, wo wir den Hafer aufbewahren und die
Pferde, ihre Hosentaschen voller Korn, heimlich fütterten. Da brauchte ich mich nicht
mehr zu wundern. Der Hafersack wurde von uns versteckt, den Kindern erklärt, dass
ihr Verhalten falsch war. Nun, woher sollten sie auch Pferdewissen haben? Die Zahl
der Pferde, die wir auf dem ganzen Ritt in Polen gesehen hatten, gab es in der
Heimat in einem einzigen Dorf. Am allerletzten Tag schaute doch noch die Sonne
hervor. Endlich kamen die Kinder zu ihrem langersehnten Ritt, einmal von uns um
das Schloss herumgeführt. Ein letzter Ausflug in die Wälder ließ erahnen wie viele
Möglichkeiten in diesem schönen Land noch schlummern. Einmal schauten wir noch
über den See in die untergehende Sonne. Der Abschied fiel schwer. Mit Dankbarkeit
im Herzen, dass ich diesen Ritt erleben durfte, zählte ich die Enten auf dem Teich am
Schloss, alle Augenblicke aufzusaugen, die für einen langen Winter reichen müssen.
 

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Bilder:

Go East!! - Ab über die Grenze nach PolenGo East!! - Ab über die Grenze nach PolenGo East!! - Ab über die Grenze nach PolenGo East!! - Ab über die Grenze nach Polen

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